Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Fenster waren zugezogen, und der Kutscher hatte Mühe, die Pferde ruhig zu halten beim Gewitter. Dann hat es auch schon angefangen zu regnen.“
„Aber ihr könnt nicht mit Sicherheit sagen, dass niemand mehr darin saß“, behauptete sie.
Etwas in ihr warnte sie, dass der Marquis nicht allein gereist war und dass er ihrem Halbbruder alles erzählt hatte. Eine undenkbare Schmach für sie!
„Nein, Madame, das können wir nicht.“
Die Comtesse winkte, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen.
„Geht, geht, na los! Unnützes Pack.“
Ihr ganzer Zorn richtete sich nun gegen den unschuldigen Diener, der nichts anderes getan hatte, als das Portal zu öffnen. Dieser zog sich eilig zurück. Die Wutausbrüche seiner Herrin waren gefürchtet.
Als Elise dann wenige Tage später die Einladung des Monarchen zum Maskenball im Oktober erhielt, erschien ihr dies als gute Gelegenheit, den Marquis noch einmal zu treffen, um Klarheit über ihren Verdacht zu erhalten. Falls er jedoch mit Marcel dort auftauchen würde, hatte sie vorgesorgt. In ihrer Verkleidung als Pharaonin würde sie niemand erkennen, und vor der Demaskierung um Mitternacht wollte sie den Ball verlassen haben. Zu ihrem Kostüm würde ein prächtiger Ring gehören. Ein ganz besonderer Ring mit einem raffinierten Mechanismus. Ein reisender Händler hatte ihn aus Ägypten mitgebracht und ihr verkauft. Er zeigte einen aus Türkis geschnitzten Skarabäus, den man bei Bedarf aufklappen konnte, und der eine gefährliche Spitze verbarg, die mit dem tödlichen Gift einer Kobra getränkt war. Fast ein zu schöner Tod für ihren verhassten Halbbruder. Sie musste ihm nur nahe genug kommen, um wie eine Schlange zuzubeißen. Sollte dieser nicht anwesend sein, so würde sie sich zumindest an dem Marquis rächen können und damit indirekt an Marcel, der dann wiederum keinen Menschen mehr besitzen würde, der sich um ihn kümmerte. Sein ganzer Reichtum würde ihm dann auch nichts nützen. Elise erfasste eine teuflische Vorfreude.
Bereits am Vortage des Maskenballs waren viele der hohen Gäste angereist. Versailles platzte fast aus den Nähten vor lauter Menschen, Viele von ihnen hielten sich geziert ihre Taschentücher vor die Nasen, denn Wasser und Seife wurde – wenn überhaupt – nur selten angewandt. Dafür tauchte man lieber in edle Duftwässerchen. Ganze Wolken von Parfüm schwebten so durch die Gänge des Schlosses, etwas, das dem Marquis wie auch dem Chevalier Saint-Jacques zuwider war. Dessen Mutter hatte ihn bereits als Kind regelmäßig in den Badezuber gesteckt. Weit mehr bewunderte Marcel die prächtige Ausstattung des Herrensitzes und die Deckenmalereien.
Die Diener der Aristokraten mussten auf dem nackten Boden in der Küche oder in den Stallungen schlafen. Kaum ein Raum, der nicht belegt war. Marcel und der Marquis trafen am frühen Morgen des Festes ein. Für sie war ebenfalls eines der Gemächer vorgesehen, in dessen Mitte ein riesiges Himmelbett platziert war. Aus Platzmangel würden sie sich Zimmer wie auch Bett teilen müssen. Ein Aspekt, der den Neigungen des Marquis durchaus entgegen kam. Dieser hatte ebenfalls einen Diener aus seinem Schloss mitgebracht, der sich um ihrer beider Wohlergehen sorgte, das Gepäck auslud und die Kostüme für den Abend herrichtete. Marcel würde als Gott Apoll daher kommen, während der Marquis sich für den Höllenfürsten persönlich entschieden hatte. Die goldbestickte, ansonsten aber weiße griechische Tunika bildete einen hübschen Kontrast zu der leicht gebräunten Haut des jungen Saint-Jacques. Dazu trug er eine goldene Augenmaske, die nur die untere Gesichtspartie mit dem sensiblen Mund frei ließ. Das leicht gewellte, schwarze Haar fiel offen auf die Schultern. Eine prächtige Spange schmückte die Tunika auf der rechten Schulter. Das Tuch verlief unter der linken Achsel und ließ die linke Schulter frei. Ein breiter Oberarmreif war der Schmuck auf dieser Seite. Ein goldener Gürtel betonte die Taille, über die das Tuch locker drüber fiel. Das ganze endete in rockartigen Falten auf Kniehöhe. Ebenfalls goldene Schnürstiefel rundeten das Bild ab. Der Marquis war dagegen ganz in schwarz schimmerndes Tuch gekleidet, mit einem roten Umhang und einer ebenfalls roten Teufelsmaske. Nur seine markante Frisur mit den dunklen Strähnen im silbergrauen Haar würde ihn verraten, wenn man ihn persönlich kannte. Eine rote Schleife hielt das lange Haar hinten zusammen. Alle hatten sich in kostbare Kostüme
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