Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
Vom Netzwerk:
Julien unter dem Hemd um den Hals trug. Das Siegel brannte sich in seine Handfläche, noch bevor Julien es bemerken konnte. Außerdem war der alte Aristokrat herzkrank, und der plötzliche Blutverlust schwächte ihn so sehr, dass er starb und als Vampir wieder erwachte, kurz nachdem der Marquis die Zelle verlassen hatte. Allerdings kam der alte Polignac mit der plötzlichen Umstellung nicht gut zurecht. Die anderen Gebissenen befanden sich nach wie vor auf der Brücke zwischen Leben und Tod. Polignac verspürte in sich diesen instinktiven Durst, und sein Sohn Dominique lag ihm am nächsten. So entstand in dieser Nacht der zweite, vollständig gewandelte Vampir. Dominique, wesentlich jünger und kräftiger, tötete die weiblichen Mitgefangenen und den Comte ohne Erbarmen. In diesem Zustand kannte er keine Familienbande mehr. André Polignac bekam von den Schandtaten seines Sohnes nichts mit. Er hatte sich nach dem Stillen seines eigenen Durstes zur Ruhe begeben, um seine Wandlung zu vollenden. In diesem hohen Alter dauerte eine vollständige Transformation zum Engel der Nacht einige Tage, da der gesamte Körper sich erneut auf eine längst vergessene Jugend programmieren musste. Als sich der Kerker im Morgengrauen öffnete, konnte der junge Polignac aus dem Gefängnis entfliehen, nachdem die Wärter beim ersten Anblick der Toten voller Entsetzen die Türe weit offen ließen und Alarm schlugen. Der alte Marquis, der sich unruhig schlafend im Stroh hin und her warf, was die Wärter als Lebenszeichen deuteten, sollte zur vorgesehenen Stunde hingerichtet werden. Sie rissen den Mann hoch und schleiften ihn zu dem hölzernen Karren, der die Verurteilten transportierte.
    Zur gleichen Zeit verbarg sich Dominique Polignac in den Katakomben von Paris, um in der kommenden Nacht diese unruhige Stadt zu verlassen. In den Akten schrieb man später, die übrige Familie Polignac und der Comte hätten Selbstmord begangen.
     
    Am Morgen der Hinrichtung stand Marcel Saint-Jacques mit den übrigen Gauklern am Rand des Hinrichtungsplatzes. Es war früh im Morgengrauen. Marcel selbst hatte es sich angewöhnt, bei trübem Wetter immer länger und öfter am Tage aktiv zu sein. So auch heute. Er sah, wie das Gespann schwerer Zugpferde den Wagen mit den Gefangenen brachte, darunter auch den älteren Mann, den die Schergen zum Schafott schleiften. Er wirkte verschlafen und verwirrt und bedeckte immer wieder die Augen, als würde ihn das trübe graue Winterlicht schmerzen. Bevor er niedergerungen und sein Kopf in die Einbuchtung der Guillotine gepresst wurde, konnte Marcel noch erkennen, wie er den Mund zu einem stummen Schrei aufriss. Und er sah die beiden spitzen Fangzähne darin. Das musste einer von ihnen sein! Dann sauste die schräge Klinge bereits herab. Der abgeschlagene Kopf plumpste in den bereitstehenden Weidenkorb, und die Menge um ihn herum brach in ein Johlen aus. Schon wurde der nächste Gefangene die Stufen zum Schafott hinauf geführt. Fast schien es, als würden die Leute den Henker anfeuern wie einen heldenhaften Ritter. Marcel wandte sich angewidert ab. Hatte Julien nicht gesagt, dass sich Vampire untereinander erkennen würden? Bei diesem da hatte er überhaupt nichts verspürt. Allerdings wusste er auch nicht, wie sich das Nähern eines Vampirs anfühlte. Bei seinem Erschaffer war das etwas ganz anderes gewesen. In der Nähe des Marquis hatte er eine seltsame Harmonie verspürt, so als wären sie zwei Seiten derselben Münze.
    Dafür hatte jemand anderer sehr wohl Marcels Anwesenheit in Paris wahrgenommen. Neben dem Kutscher des schweren Wagens, der sonst Fässer transportierte und der heute die Verurteilten gebracht hatte, saß eine vermummte Gestalt und ließ ihren Blick über die fanatische Menge schweifen. Konnte es sein, dass …? Obwohl Marcel abgewandt von seinen Blicken stand, so erkannte Julien doch, wer da so ruhig und scheinbar desinteressiert zwischen den zerlumpten Einwohnern von Paris stand. Die dunklen Locken fielen auf seine Schultern. Er trug die schlichte Kleidung eines einfachen Mannes. Das Herz des Marquis machte einen Freudensprung. Marcel war hier!
    Der junge Vampir selbst war noch zu unerfahren, um die Anwesenheit seines Erschaffers zu erspüren. Zudem wurde er von den Geschehnissen um ihn herum und dem furchteinflößenden, gigantischen Mordinstrument mit seiner scharfen Klinge abgelenkt, die auch ihm gefährlich werden konnte!
     
    Die Nacht war zu kalt für Schnee. Wieder saß die alte Lucia

Weitere Kostenlose Bücher