Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Wunden es floss.
Eine Woche später holte der Marquis die siegreiche französische Armee Napoleons in der italienischen Provinz Alessandria ein. Als er eines Abends in das Lager ritt, war das Zelt des Soldatenführers schon von weitem zu erkennen. Er hielt darauf zu, bis ihn zwei Adjutanten stoppten und zum Absitzen aufforderten. Julien folgte dem Befehl und klopfte sich den Staub vom Reitmantel. Der General trat aus dem Zelt, um den späten Besucher zu begutachten. Die Soldaten draußen salutierten vor ihm. Die rechte Hand in der Uniformweste, die Linke hinter dem Rücken stand Bonaparte aufrecht – soweit es seine gedrungene Statur zuließ – vor dem Eingang. Sein Erstaunen, als er seinen ehemaligen Feldarzt erkannte, wusste er geschickt unter einer steinernen Miene zu verbergen. Dass dieser die vernichtende Schlacht vor Alexandria überlebt haben konnte! Kaum zu glauben! Mit einem Nicken zu seinen Adjutanten hin ließen diese den Marquis vortreten. Napoleon wies mit dem Kopf in sein Zelt und folgte seinem Gast hinein
„Ich bin erfreut, Euch zu sehen, Marquis“, begann er und goss zwei Becher mit Wein ein. „Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch jemals wiederzusehen.“
„Ihr meint damit wohl lebend“, gab Julien zynisch zu Antwort.
Bonaparte reichte dem Aristokraten den Becher. Dieser nahm ihn entgegen und hob ihn zum Salut.
„Général Bonaparte, auf Euren großartigen Sieg über die Österreicher!“
Damit war der General erstmal einer Antwort enthoben, denn jetzt mussten sie beide diesem Trinkspruch Folge leisten. Wertvolle Sekunden gewonnen, die in einem Duell entscheidend sein konnten.
Dieses wurde auch gleich darauf mit einer direkten Frage des Marquis eröffnet: „Wo ist das Bild? Ihr schuldet es mir, mon général, wenn man Euren Worten noch Glauben schenken darf.“
Napoleon hüstelte leicht verlegen. Er fühlte sich bei seiner Ehre gepackt. Das Bild, sein Talisman. Ja, er hatte befürchtet, dass die Rede darauf kommen würde! Aber war es ratsam, diesen scheinbar unverwundbaren Mann noch länger zu vertrösten? Vielleicht stand der Marquis doch mit seltsamen dunklen Kräften in Verbindung? Er beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben und zu einem Überraschungsangriff überzugeben: „Ich weiß, es klingt vermessen, zumal Ihr all diese Strapazen auf Euch genommen habt, aber … Würdet Ihr es mir schenken, Marquis?“
Damit hatte Julien nun gar nicht gerechnet. Was lag dem Konsul von Frankreich an diesem Bild? Er konnte sich doch Hunderte von Ölgemälden malen lassen.
Eine Kopie!, schoss es ihm durch den Kopf. Das war die Lösung! Bislang gab es ja nur dieses einzigartige, wertvolle Original. Er stellte den Becher hin und blickte dem wartenden Heerführer in die Augen. „Ihr seht mich überrascht, aber ich bestehe auf die Rückgabe des Originals. Allerdings gestatte ich Euch, eine Kopie des Gemäldes herstellen zu lassen, wenn Euch wirklich so viel daran liegt.“
Was für ein geschickter Stratege dieser undurchsichtige Marquis doch war. Bonaparte lächelte amüsiert. Auf diese Weise war ihnen beiden gedient. Allerdings war an diesem Ort eine derart meisterliche Arbeit nicht herzustellen. So etwas traute er nun doch nur einem französischen Maler zu. Also musste er das Original zurückbringen nach Frankreich, damit einer der Kopisten seine Arbeit beginnen konnte. Ohne den Marquis eines Blickes zu würdigen, trat der General wieder aus dem Zelt und rief einen der Adjutanten zu sich.
„Wir brechen im Morgengrauen nach Paris auf. Lassen Sie das Lager räumen. Und senden Sie einen Kurier in die Hauptstadt. Man möge mir die Namen der besten Maler Frankreichs nennen!“
„Oui, mon général“, salutierte der Soldat und machte sich auf den Weg, um den Befehl weiter zu geben, wobei er sich über den letzteren zumindest wunderte.
Julien den Montespan hatte gehört, was draußen gesprochen wurde und lächelte in sich hinein. Nach Paris! Endlich nach Hause! Dann fiel ihm ein, dass er Townsend würde informieren müssen, wohin Napoleon als nächstes zog. Nun, das ließ sich noch im Morgengrauen erledigen!
Am 2. Juli 1800 kehrte Napoleon nach Paris zurück, derweil die Generäle begannen, sich gegen ihn und seine Diktatur zu verschwören.
„Dieser Hengst ist ein Blender, Monsieur. Er taugt nichts für die Zucht. Glaubt mir, seine Beine sind viel zu dünn“, sagte Claude Devereaux, der hinter Marcel Saint-Jacques stand, als dieser in aller Herrgottsfrühe die Pferde auf dem Marktplatz
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