Im Bann der Lilie (Complete Edition)
die in seine Nähe kommen. Ein weiteres Attentat soll an Weihnachten verübt werden.“
„Und?“
„Meine Leute haben mir berichtet, dass der Konsul ein Portrait von Euch in Besitz hat, das er sehr schätzt, ja, fast abgöttisch liebt. Wenn wir also verlauten ließen, dass Ihr leibhaftig existiert, wird er nichts unversucht lassen, um Euch zu treffen. Wir könnten also über den Zeitpunkt sicher sein. Für Euer eigenes Leben besteht natürlich zu keiner Zeit Gefahr!“
Bei dem letzten Satz fiel Townsend ein, dass dieses scheinbar kultivierte und anziehende Wesen da vor ihm schon lange nicht mehr „lebte“.
Marcel lachte auf. „Ihr wollt mich als Köder!“
Townsend nickte, ohne den Chevalier anzusehen. Irgendwie war ihm die Situation selbst unangenehm. Also starrte er lieber in die Flammen des Kaminfeuers, die ihre zuckenden Schatten in dem Raum tanzen ließen.
Die Gedanken des jungen Saint-Jacques glitten zurück in die Zeit, als er das besagte Gemälde im Hause des Marquis als Geschenk erhielt. Es konnte sich nur um dieses Portrait handeln! Wie war es damals aus dem brennenden Schloss gelangt?
Wieder unterbrach der britische Geheimdienstler seine Gedankengänge. „Am 24. Dezember ist die Premiere von Haydns Die Schöpfung in Paris. Meine Leute würden das Gerücht streuen, dass auch Ihr anwesend sein werdet.“
„Napoleon kennt mich nicht. Ich glaube auch nicht, dass der Marquis meinen Namen preis gegeben hat.“
„Das könnt Ihr ihn selber fragen, denn auch er wird eine Einladung erhalten. Abgesehen davon: Es spielt keine Rolle. Wenn die Gerüchteküche einmal brodelt, wird der Konsul der Sache auf den Grund gehen wollen und …“ Das Ende des Satzes ließ er offen.
Als nach einigen Minuten des Schweigens immer noch keine Antwort kam, fragte Townsend: „Warum zögert Ihr? Ich versichere Euch, es wird Euch nichts geschehen.“
„Ich denke dabei nicht an mich“, murmelte Marcel. „Ich bin nicht mehr allein.“
„Oh, wenn das so ist, dann bringt Eure Gemahlin ruhig mit. Ich werde sicherlich noch eine der begehrten Premierenkarten auftreiben können.“
„Es ist keine Frau.“
Ein langgezogenes „Hmmm“ folgte, denn darauf wusste der alte britische Stratege nichts zu antworten. Würde das seine Pläne verkomplizieren oder eher begünstigen? Er konnte die Situation nicht richtig einschätzen. Die Sitten und Gebräuche der Franzosen waren ihm immer ein Rätsel geblieben.
Was soll's. Irgendwann werde ich Julien ja doch unter die Augen treten müssen. Marcel seufzte innerlich.
„Also gut. Ich werde an Weihnachten in Paris weilen.“
Erleichtert erhob sich der Engländer. „Meinen aufrichtigen Dank, Monsieur Saint-Jacques. Lassen Sie uns hoffen, dass in Europa bald wieder Frieden herrscht.“
Den hätte ich auch gern.
„Wollt Ihr nicht besser heute Nacht hier übernachten?“ Der Höflichkeit halber machte der junge Chevalier dem Gast dieses Angebot. Dieser lehnte jedoch ab.
„Nein, meine Mission duldet keinen Aufschub. Nochmals Danke, im Namen eines friedlichen Europas.“
Marcel begleitete den Briten noch ins Foyer, wo er Mantel und Hut wieder aufnahm, um draußen zu seinem wartenden Ross zu eilen. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen.
Marcel schloss das Portal hinter ihm, lehnte sich nachdenklich gegen die mächtige Holzpforte und warf einen Blick die gegenüberliegende Freitreppe hoch. Dort oben stand Silvio und kam nun langsam die Stufen hinunter. „Wer war das?“, wollte er wissen.
„Niemand, mon chou. Nur ein alter Bekannter, der zu Besuch in Frankreich weilt“, gab der Chevalier abschätzig zur Antwort.
„Verstehe. Was hältst du davon, wenn wir beide etwas zwischen die Zähne bekommen?“, lächelte ihn jetzt sein Freund hintergründig an.
Zeit, um auf die Jagd zu gehen.
Die Jagd war für den Marquis de Montespan fast zu Ende. Der junge Devereaux und er waren in seinem eleganten Stadthaus angekommen. Er geleitete den späten Gast in den großzügigen Salon, wo er ihm kommentarlos den festlichen Rock abnahm und beiseite legte. Nun stand der blonde junge Mann irgendwie verloren da, gekleidet in ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln, darüber eine seidene dunkelblaue Weste, gleichfarbigen Beinkleidern und eine goldene Schärpe um die Mitte, die hier völlig fehl am Platze schien. Clement schaute sich neugierig um. Ein schwerer, süßlicher Duft wie der von Opium lag in dem Zimmer mit der stilvollen, orientalisch anmutende Einrichtung, die an alte Glanzzeiten des
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