Im Bann der Sinne
startete trotz der späten Stunde ihren Computer und recherchierte im Internet.
Es dauerte nur eine Minute, und sie hatte die Website von Nebraskas Einwohnermeldeamt gefunden. Geburten, Eheschließungen ... und Todesfälle. Sie beschloss, die Sterbeurkunde von beiden Elternteilen anzufordern. Laut Information auf der Website würden ihr die Urkunden innerhalb weniger Tage per Post zugeschickt werden. Was bedeuteten schon ein paar Tage verglichen mit den vielen Jahren, die sie darauf gewartet hatte, die Wahrheit zu erfahren?
Trotzdem musste sie plötzlich weinen. Sie war zu jung gewesen, um sich wirklich an ihre Eltern erinnern zu können, aber einige Dinge von damals waren in der Erinnerung haften geblieben. Das tiefe Lachen ihres Vaters, die Sonne auf ihrem Gesicht, wenn sie draußen spielte, die sanfte Hand ihrer Mutter auf ihrem Kopf. Und Liebe. Bedingungslose Liebe, die ihr Sicherheit gegeben hatte.
Dieses Gefühl hatte sie nie vergessen, denn nachdem sie von Spencer „adoptiert"
worden war, hatte es keine elterliche Liebe mehr gegeben. Walker hatte sein Bestes getan, aber er konnte die Mutter nicht ersetzen. Charlotte hatte sie unglaublich vermisst, besonders, als sie zu einer jungen Frau heranwuchs. Zu der Zeit hatte sie nicht einmal mehr mit Walker sprechen können - ihr geliebter Bruder gehörte schon zu Spencer.
Sie schluchzte und fühlte sich plötzlich schrecklich einsam. Vor ein paar Tagen noch hätte sie diese Einsamkeit allein ertragen, doch heute Abend lehnte sich ihr Herz dagegen auf. Mit zittriger Hand griff sie nach dem Telefon.
„Alexandre?", sagte sie, als er sich verschlafen meldete.
„Ma petit e? Was ist passiert?" Er schien plötzlich hellwach und besorgt.
„Ich habe gerade die Sterbeurkunden meiner Eltern angefordert." Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Soll ich zu dir kommen?"
„Ich habe dich geweckt." Sie fuhr sich durch die Haare. Was hatte sie sich eigentlich bei dem Anruf gedacht? „Tut mir leid."
„Du kannst mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen, wenn du mich brauchst. Es ist schön, von einer so starken Frau wie dir gebraucht zu werden."
„Alter Charmeur."
„Ich bin gleich bei dir. Und weine nicht - das mag ich nicht."
Sie lächelte unter Tränen, legte auf und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Der Kaffee war gerade fertig, als Alexandre kam.
Er warf einen Blick in ihr Gesicht und nahm sie in die Arme. Mit dem Fuß stieß er die Tür hinter sich zu. „Du hast ja doch geweint", sagte er vorwurfsvoll, als hätte sie etwas Unverzeihliches getan.
„Manchmal passiert das eben."
„Ich mag nicht, wenn du weinst. Versprich mir, es nicht mehr zu tun.
Sie lächelte. „Gehörst du zu den Männern, die keine Tränen sehen können?"
„Non. Aber Tränen lassen mich immer schwach werden. Und dann musst du Mitleid mit mir haben."
„Ich habe Kaffee gekocht", flüsterte sie.
„Zuerst möchte ich dich noch in meinen Armen halten."
Sie hatte nichts dagegen. Bei diesem Mann hatte sie gelernt, wie schön eine einfache Umarmung sein konnte. Aber sie spürte auch, dass sie den Punkt erreicht hatte, wo sie mehr wollte. Ihre Angst davor, mit ihm intim zu werden, löste sich in nichts auf. Je länger sie jetzt noch wartete, desto weniger Zeit blieb ihr ... und sie wollte jeden Moment intensiv erleben.
Sie wusste später nicht mehr, wie lange er sie gehalten, ihr Haar gestreichelt und ihr leise Worte ins Ohr geflüstert hatte. Aber als sie sich schließlich voneinander trennten, empfand sie einen tiefen inneren Frieden. Alexandre hatte nicht nur ihren Schmerz gelindert. Seine Zärtlichkeit gab ihr auch den Mut, die Entscheidung zu treffen, die sie vor sich hergeschoben hatte, seit sie ihn kennengelernt hatte.
„Du bist ein ganz außergewöhnlicher Mann", sagte sie und streichelte über sein Gesicht.
Alexandre schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Held und Retter. Ich wünschte, ich könnte es für dich sein."
Sie lächelte sanft. „Ich erkenne meinen Helden, wenn ich ihn sehe."
Er spielte mit ihren Haaren. „Und wenn ich dir erzähle, dass ich ein uneheliches Kind bin, ein Bastard - und kein edler Ritter?"
„Alexandre, die Umstände einer Geburt entscheiden doch nicht darüber, wer oder was ein Mann ist?" Sie runzelte die Stirn. „Wenn du ein Bastard bist, dann bin ich eine Mestizin."
Alexandre legte den Finger unter ihr Kinn. „Benutz diesen Ausdruck nicht. Er klingt so negativ."
„Dann sag du nicht wieder Bastard."
Er besiegelte ihre
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