Im Bann der Versuchung
sie ihn nicht wiedergesehen, und nun, da sie so nahe neben ihm stand, fühlte sie, wie anziehend er auf sie wirkte.
„Ach, Mr. Stooar, bleiben Sie ruhig noch", bat Thora. „Es ist nicht gut, so viel zu arbeiten. Nehmen Sie Platz und trinken Sie ein Gläschen mit Norrie. Wenn die Kinder im Bett sind, sitzen wir vier abends immer noch beisammen. Es freut uns, wenn Sie uns Gesellschaft leisten."
„Thora holt Ihnen ein Glas und Meg die Post. Der Sack liegt im Schrank, Mädchen", sagte Norrie.
Um nicht unhöflich zu sein, fügte sich Dougal schließlich, setzte sich auf die Bank und dankte Thora für den Whiskey, den sie ihm eingeschenkt hatte. Mutter Elga saß auf ihrem Lieblingsplatz nahe am Herd und beobachtete Dougal.
„Mögen Sie den Regen, Mr. Stooar?" fragte sie nach einer Weile.
„Hin und wieder schon. Allerdings nicht, wenn ein starker Sturm unsere Arbeit am Felsen behindert. Aber ein leichter Regen ist manchmal recht beruhigend."
„Aha." Mutter Elga nickte zufrieden. „So wie Ihr Heim im Meer?" fragte sie vertrauensselig.
Dougal bemerkte, dass Margaret ihm erschrocken zuzwinkerte. „Ja, so beruhigend wie das Meer", bestätigte er und sagte leise „danke", als Margaret ihm ein Bündel Briefe übergab.
„Setz dich, Meg", befahl ihre Urgroßmutter. „Ach, doch nicht zu mir. Da drüben, neben Mr. Stooar."
Thora klopfte auffordernd auf die Bank neben Dougal und setzte sich selbst wieder zu Norrie.
Zögernd gehorchte Margaret. Die schmale Bank bot kaum Platz für zwei. Ihre Arme berührten sich, und obwohl sie ganz still neben ihm saß, ging ihr Atem schneller.
Während Dougal sich mit ihrem Großvater unterhielt, warf sie verstohlen einen Blick auf die Briefe, die er in der Hand hielt. Das oberste Schreiben stammte von der Anwaltskanzlei Hamilton und Shaw.Voller Schrecken fiel ihr ein, dass sie ihre Anwälte vor Wochen angewiesen hatte, alles zu versuchen, dass die Arbeiten am Leuchtturm unterbrochen oder sogar ganz eingestellt würden. Obwohl ihre letzte Post diesbezüglich keine neue Nachricht enthalten hatte, war ihr dennoch klar, dass ihr Anwalt Dougal in dem Schreiben von den nächsten Schritten in Kenntnis setzte.
„Ach, ich denke, wir brauchen den Leuchtturm da draußen", hörte sie ihren Großvater sagen.
„Aber du warst doch immer dagegen", warf Margaret ein.
„Am Anfang war ich ja der gleichen Meinung wie Lady Strathlin", gab Norrie zu. „Sie möchte, dass unsere Insel ruhig und friedlich bleibt und der Felsen nicht betreten wird." Nachdenklich zog er an seiner Pfeife. „Doch nun denke ich, der Leuchtturm ist da draußen eine große Hilfe. Außer während der Bauzeit wird er uns nicht sehr stören. Das gefährliche Riff braucht ein Licht."
„Der Leuchtturm könnte anderswo am Riff errichtet werden", versuchte Margaret ihren Standpunkt klarzumachen. „Weiter südlich zum Beispiel, wo die tückischen Untiefen beginnen. Es ist doch besser, man warnt die Schiffe schon an dieser Stelle, als erst nach zwei Drittel des Weges entlang dem Riff."
„Das Licht auf Sgeir Caran wird das Riff in seiner ganzen Länge beleuchten, Miss MacNeill. Außerdem sind die südlichen Felsen den Gezeiten ausgesetzt", erklärte Dougal. ,,Man hat zwar schon Leuchttürme unter solchen Bedingungen errichtet, aber ich halte nichts davon. Sgeir Caran ist auf jeden Fall der beste Standort."
„Und das ist wichtig", meinte Norrie. „Außerdem freuen wir uns, dass der leitende Ingenieur bei uns auf Caransay wohnt."
Margaret hätte schwören können, dass ihr Großvater ihr zugezwinkert hatte. Sie sah ihn böse an.
„Mr. Stooar ist stets willkommen auf Caransay", meinte Mutter Elga. „Er hat unseren kleinen Iain gerettet, deshalb mögen wir ihn und seinen Leuchtturm auch."
„An diesem Riff sind schon viele Schiffe gestrandet", erklärte Norrie. „Zwischen manchen Felsen ist die Strömung so stark, dass die Schiffe aus dem Ruder geraten und innerhalb von Minuten sinken. Ich habe dort schon viel zu viele Wracks gesehen. Nein, es wäre wirklich nicht richtig, wenn ich Sie bitten würde, Ihr Licht an anderer Stelle zu errichten."
„Wir wollen keine Wracks mehr sehen", pflichtete Thora ihrem Mann bei.
„Waren Sie Zeuge von Schiffsuntergängen?" erkundigte sich Dougal interessiert.
Die drei älteren MacNeills nickten. „Viele haben wir gesehen", sagte Norrie. „Und es ist ein furchtbarer Anblick. Wenn es. möglich war, haben wir versucht, die armen Seelen zu retten. Aber in einem Orkan kann der
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