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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Leoman.
    »Heboric, der gezeichnete Priester ohne Glauben, der ihn eines Tages von neuem entdecken wird. Leoman, der Meister der Täuschung, der die Welt mit zynischeren Augen betrachtet als Heboric mit seiner passenden Blindheit, und der doch immer in der Dunkelheit … nach Hoffnung sucht.
    Und schließlich Felisin. Aber – wer ist diese Frau im Gewand eines Kindes? Die Freuden des Fleisches bar aller Freuden. Alle Schichten ihres Ich nacheinander abgeschält. Hinter jedem grausamen Wort, das sie ausstößt, verbirgt sich die Sehnsucht nach Freundlichkeit. Sie glaubt an gar nichts. Ein sauber ausgebrannter, leerer Schmelztiegel. Heboric besitzt unsichtbare Hände, und was sie jetzt festhalten, sind eine Macht und eine Wahrheit, die er nicht spüren kann. Felisins Hände … ah, ja, sie haben angefasst und zugepackt, sie waren glitschig, und sie waren beschmutzt, und haben doch nichts festgehalten. Das Leben schlüpft wie ein Geist zwischen ihnen hindurch.
    Bevor Heboric und ich zu euch gekommen sind, war alles unvollständig, Leoman. Du und dein tragischer, kindlicher Gefährte. Gib mir das Buch, Leoman.«
    Sie hörte, wie er die Schnallen entfernte, hörte, wie er das Buch auswickelte. »Öffne es«, befahl sie ihm.
    »Ihr müsst es öffnen – und es ist auch noch nicht Morgendämmerung! Das Ritual – «
    »Öffne es.«
    »Ihr – «
    »Wo ist dein Glaube, Leoman? Du verstehst es nicht, stimmt’s? Die Prüfung gilt nicht nur mir. Die Prüfung gilt uns allen. Hier und jetzt. Öffne das Buch, Leoman.«
    Sie hörte seine schweren Atemzüge, hörte, wie sie ruhiger wurden, wie sie von einem eisernen Willen unter Kontrolle gebracht wurden. Der lederbezogene Einband knackte leise.
    »Was siehst du, Leoman?«
    Er grunzte. »Natürlich nichts. Es gibt hier kein Licht, um etwas zu sehen.«
    »Sieh noch einmal hin.«
    Sie hörte ihn und die anderen keuchen. Ein Schimmer von der Farbe gesponnenen Goldes begann, vom Buch Dryjhnas aufzusteigen. Von allen Seiten erklang ein fernes Flüstern, dann ein Gebrüll. »Der Wirbelwind erwacht – aber nicht hier, nicht im Herzen der Raraku. Das Buch, Leoman – was siehst du?«
    Er streckte die Hand aus und berührte die erste Seite, blätterte sie um, dann die nächste, die übernächste. »Aber … das ist unmöglich! Es ist leer! Die Seiten sind alle leer!«
    »Du siehst, was du siehst, Leoman. Schließ das Buch und gib es jetzt dem Toblakai.«
    Der Riese schob sich vorwärts und kauerte sich hin, nahm mit seinen gewaltigen, blutbefleckten Händen das Buch entgegen. Er zögerte nicht.
    Sein Gesicht wurde in ein warmes Licht getaucht, als er auf die erste Seite hinunterstarrte. Sie sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten und wie die Tränen über seine narbigen Wangen strömten.
    »Solch eine Schönheit«, flüsterte sie ihm zu. »Und Schönheit bringt dich zum Weinen. Weißt du, warum du solchen Kummer verspürst? Nein, du weißt es noch nicht. Aber eines Tages … Schließ das Buch, Toblakai.
    Heboric – «
    »Nein.«
    Leoman zog einen Dolch, doch Felisin legte ihm eine Hand auf den Arm.
    »Nein«, wiederholte der ehemalige Priester. »Meine Berührung – «
    »Ja«, sagte sie. »Deine Berührung.«
    »Nein.«
    »Du bist schon früher geprüft worden, Heboric, und du hast versagt. Und wie du versagt hast. Du fürchtest, du könntest noch einmal versagen – «
    »Ich werde es nicht tun, Felisin.« Heborics Stimme klang scharf und fest. »Ich werde es ganz sicher nicht tun. Ich werde nicht an diesem Ritual teilnehmen, und ich werde es auch nicht riskieren, meine Hände an dieses verfluchte Buch zu legen.«
    »Ist doch egal, ob er das Buch öffnet oder nicht«, sagte der Toblakai grollend. »Er ist so blind wie ein En’karal. Erlaubt mir, ihn zu töten, Wiedergeborene Sha’ik. Erlaubt mir, dieses Ritual mit seinem Blut zu besiegeln.«
    »Dann tu es.«
    Der Toblakai bewegte sich gedankenschnell. Sein hölzernes Schwert war kaum zu sehen, als er nach Heborics Kopf hieb. Wenn er getroffen hätte, hätte er den Schädel des alten Mannes mit solcher Wucht zerschmettert, dass Stücke davon bestimmt zwanzig Fuß oder sogar noch weiter geflogen wären. Stattdessen leuchteten Heborics Hände auf – die eine hatte die Farbe von getrocknetem Blut, die andere war tierisch und fellbewachsen. Sie schossen nach oben, um den Hieb abzufangen, wobei sich jede um eines der Handgelenke des Riesen schloss – und den Hieb aufhielt. Das hölzerne Schwert flog dem Toblakai aus den Händen,

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