Im Bann der Wüste
wie sich das Netzwerk ausbreitete, um die Lücken zwischen den Bäumen zu überbrücken. Während sie weitergingen, wurde die Luft allmählich kühler; gleichzeitig wurden auch die intensiven Gerüche schwächer, und schließlich war es nicht mehr zu übersehen, dass der Baumbestand dünner wurde: der Abstand zwischen den einzelnen Bäumen wuchs von wenigen Schritten erst auf ein halbes, dann auf ein Dutzend Schritte an. Doch noch immer war der Boden voller dicht miteinander verwobener, knotiger Wurzeln – zu viele, um sie allein mit dem Wald zu erklären. Der Anblick ließ in Mappo den Hauch einer irgendwie beunruhigenden Erinnerung aufsteigen, doch er konnte sie nicht wirklich heraufbeschwören.
Sie konnten jetzt vielleicht fünfhundert Schritte weit sehen – eine Aussicht auf wie Wächter aufragende Baumstämme und dunstige Luft, beides mit einem leichten Blaustich, der vom Licht der merkwürdigen Sonne herrührte. Nichts bewegte sich. Niemand sprach. Die einzigen Geräusche waren ihr Atmen, das Rascheln von Kleidern und Rüstungen, und ihre Schritte auf der endlosen Matte miteinander verflochtener Baumwurzeln.
Eine Stunde später erreichten sie den Waldrand. Dahinter lag eine dunkle, hügelige Ebene.
Fiedler hieß die Gruppe anhalten. »Fällt irgendjemandem irgendwas dazu ein?«, fragte er und starrte hinaus auf die kahle, auf und ab wogende Landschaft, die vor ihnen lag.
Der Boden vor ihnen war ein einziges fest gewobenes Durcheinander aus ineinander verschlungenen, schlangenähnlichen Wurzeln, das sich in die Ferne erstreckte.
Icarium kauerte sich hin und legte eine Hand auf eine dicke, in sich verdrehte Wurzel. Er schloss die Augen, dann nickte er und richtete sich auf. »Der Azath«, sagte er.
»Tremorlor«, murmelte Fiedler.
»Ich habe noch nie einen Azath sich in dieser Weise manifestieren sehen«, sagte Mappo. Nein, keinen Azath, aber ich habe hölzerne Stäbe gesehen …
»Aber ich«, sagte Crokus. »In Darujhistan. Das Azath-Haus, das dort entstanden ist, ist aus dem Boden in die Höhe gewachsen wie ein Baumstamm. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es ist gewachsen, um den Finnest eines Jaghut aufzunehmen.«
Mappo musterte den jungen Daru mehrere Herzschläge lang, dann wandte er sich an den Jhag. »Was spürst du sonst noch, Icarium?«
»Widerstand. Schmerz. Der Azath wird belagert. Dieses zersplitterte Gewirr versucht sich dem Griff des Azath zu entziehen. Und jetzt ist noch eine weitere Bedrohung hinzugekommen …«
»Die Wechselgänger und Vielwandler.«
»Tremorlor ist … sich derer bewusst … die es suchen.«
Iskaral Pustl lachte meckernd, verstummte jedoch, als Crokus ihm einen finsteren Blick zuwarf.
»Das bezieht sich auch auf uns, nehme ich mal an«, sagte Fiedler.
Icarium nickte. »Ja.«
»Und es hat vor, sich zu verteidigen«, sagte der Trell.
»Wenn es kann.«
Mappo kratzte sich am Kinn. Die Reaktionen einer lebenden Entität.
»Wir könnten hier Halt machen«, sagte Fiedler. »Uns ein bisschen Schlaf gönnen – «
»Oh, nein, das dürft ihr nicht!«, meldete sich Iskaral Pustl zu Wort. »Eile ist geboten!«
»Was immer da auch vor uns liegen mag«, sagte der Sappeur grollend, »kann warten. Wenn wir nicht ausgeruht sind – «
»Ich bin der gleichen Meinung wie Fiedler«, fügte Icarium hinzu. »Ein paar Stunden Ruhe …«
Das Lager wurde willkürlich irgendwo aufgeschlagen, die Decken schweigend ausgerollt, ein dürftiges Mahl geteilt. Mappo schaute zu, wie die anderen sich hinlegten, bis schließlich nur noch er und Rellock wach waren. Der Trell gesellte sich zu dem alten Mann, als dieser seine Decken zurechtrückte.
»Warum hast du Iskarals Befehlen gehorcht, Rellock? Deine Tochter an einen solchen Ort zu locken, unter solchen Umständen …« Mappos Stimme war leise.
Der Fischer zog eine Grimasse. Man konnte ihm ansehen, dass er mit sich um eine Antwort rang. »Mir wurde dieser Arm geschenkt, mein Herr. Und man hat unser Leben verschont …«
»Das hast du schon zuvor gesagt; und du bist zu Iskaral gebracht worden. In eine Festung mitten in der Wüste. Wo man dich dazu gebracht hat, dein einziges Kind in Gefahr zu bringen … Es tut mir Leid, wenn ich dich kränken sollte, Rellock. Ich versuche einfach nur zu verstehen, was geschehen ist.«
»Sie ist nicht mehr die, die sie einmal war. Sie ist nicht mehr mein kleines Mädchen … Nein.« Er zögerte, knetete seine Hände auf den Decken. »Nein«, wiederholte er, »was geschehen ist, ist
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