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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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»Was spürst du?«
    Er zuckte zusammen, als er ihre Stimme hörte, als wäre jedes Wort, das sie an ihn richtete, ein spitzer Pfeil. »Man muss kein unsterblicher Geist sein, um sich um nichts mehr zu kümmern«, murmelte er.
    Sie musterte ihn. »Du kannst nicht ewig vor der Freude, wieder geboren zu sein, davonlaufen, Heboric. Was du fürchtest, ist, wieder menschlich zu werden – «
    Sein Lachen war bitter, sardonisch.
    »Du hast nicht erwartet, von mir solche Gedanken zu hören«, stellte sie fest. »Denn so wenig du das, was ich war, auch gemocht hast, so bist du doch nicht willens, jenes Kind aufzugeben.«
    »Du spürst immer noch die Macht in dir, Felisin, und das verleitet dich zu glauben, dass diese Macht dir auch Wissen gebracht hat. Es gibt Geschenke, und dann gibt es auch noch das, was man sich verdienen muss.«
    »Er ist wie eine Kette für Euch, Wiedergeborene Sha’ik«, grollte der Toblakai. »Tötet ihn.«
    Sie schüttelte den Kopf, ohne den Blick von Heboric abzuwenden. »Da mir Weisheit nicht geschenkt werden kann, bin ich gern mit einem weisen Mann beschenkt. Mit seiner Gesellschaft, seinen Worten.«
    Bei diesen Worten blickte der ehemalige Priester auf; er kniff die Augen unter den dichten Brauen zusammen. »Ich dachte, du würdest mir keine Wahl lassen, Felisin.«
    »Vielleicht hat es nur so ausgesehen, Heboric.«
    Sie beobachtete ihn, beobachtete den Kampf, der in seinem Innern tobte, der dort schon immer getobt hatte. Wir haben ein vorn Krieg zerrissenes Land durchquert, und die ganze Zeit haben wir mit uns selbst gekämpft. Dryjhna hat nichts weiter getan, als einen Spiegel hochzuhalten … »Eines habe ich von dir gelernt, Heboric«, sagte sie.
    »Und das wäre?«
    »Geduld.« Sie drehte sich um, winkte Leoman weiterzugehen.
    Sie näherten sich den aufgefalteten, narbigen Felsen. Wenig wies darauf hin, dass an diesem Ort einst heilige Riten stattgefunden hatten. Das harte Basalt-Grundgestein hatte es nicht zugelassen, dass hier solche Löcher oder Rillen gebohrt worden waren, wie fleißige Hände sie normalerweise an heiligen Stätten in den Stein ritzten, und auch die verstreut herumstehenden Felsblöcke wiesen keinerlei Muster auf.
    Und doch konnte Felisin die Präsenz von Geistern spüren – von Geistern, die einst stark gewesen, jetzt jedoch nur noch Echos waren; unsichtbare Augen folgten ihnen mit matten Blicken. Jenseits der Erhebung breitete sich die Wüste aus und senkte sich leicht zu einem gewaltigen Becken, auf dessen Grund das schwindende Meer vor langer, langer Zeit schließlich gestorben war. Schwebender Staub verhüllte die riesige Senke.
    »Die Oase liegt in der Nähe des Zentrums«, sagte Leoman neben ihr.
    Sie nickte.
    »Es sind keine sieben Längen mehr.«
    »Wer trägt Sha’iks Habseligkeiten?«, fragte sie.
    »Ich.«
    »Ich werde sie jetzt nehmen.«
    Schweigend setzte er sein Bündel ab, öffnete die Verschnürung und begann, Dinge herauszunehmen. Ein paar Kleidungsstücke, ein bisschen Schmuck – Ringe, Armreifen und Ohrringe –, dem man ansah, dass er einer armen Frau gehört hatte, ein Langmesser, dessen schmale Klinge mit Ausnahme der Schneide von schwarzen Flecken überzogen war.
    »Ihr Schwert wartet im Lager auf uns«, sagte Leoman, als er fertig war. »Sie hat die Armreifen nur ums linke Handgelenk getragen, die Ringe nur an der linken Hand.« Er deutete auf ein paar Lederriemen. »Die hat sie sich um ihr rechtes Handgelenk und den Unterarm geschlungen.« Er hielt inne und warf ihr einen Blick zu. Seine Augen waren hart. »Es wäre am besten, wenn Ihr ihren Aufzug übernehmen würdet. Und zwar ganz genau.«
    Sie lächelte. »Um die Täuschung zu vervollständigen, Leoman?«
    Er senkte den Blick. »Es ist gut möglich, dass es … Widerstände gibt. Die Hohemagier – «
    »Würden sich das Ganze so zurechtlegen, wie es ihnen am besten passt, dadurch Gruppierungen im Lager schaffen und schließlich gegeneinander kämpfen, um zu entscheiden, wer über alle herrschen wird. Bis jetzt haben sie es noch nicht getan, weil sie nicht feststellen konnten, ob Sha’ik noch am Leben ist. Doch sie haben den Boden bereitet.«
    »Seherin – «
    »Ah, das zumindest akzeptierst du.«
    Er beugte den Kopf. »Niemand könnte die Macht leugnen, die zu Euch gekommen ist – aber …«
    »Und doch habe ich das Heilige Buch nicht selbst geöffnet.« Er blickte ihr in die Augen. »Ihr habt es nicht getan.«
    Felisin schaute auf. Der Toblakai und Heboric standen ein paar Schritte

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