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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Hinterhalt immer neue Nadelstiche. Ansonsten schien er zufrieden damit, auf besseres Gelände zu warten, um dann erneut eine größere Schlacht zu beginnen. Vielleicht verzagte selbst er angesichts dessen, was der Wald von Vathar zu enthüllen begonnen hatte.
    Zwischen den riesigen Zedern standen Bäume von anderer Art, die alle versteinert waren. Sie sahen knorrig und verdreht aus, und der ganze versteinerte Wald umarmte Objekte, die ihrerseits versteinert waren – die Bäume trugen Opfergaben und waren vor langer, langer Zeit darum herumgewachsen. Duiker erinnerte sich noch gut an das letzte Mal, da er solche Dinge gesehen hatte – an einem Ort, der ehemals heilig gewesen war, im Herzen einer Oase nördlich von Hissar. Dort waren Widderhörner mit Ästen und Zweigen verwachsen gewesen, und auch hier gab es viele davon. Allerdings waren diese noch die am wenigsten ängstigenden Opfergaben.
    T’lan Imass. Es gibt nicht den geringsten Zweifel – ihre untoten Gesichter starren uns von allen Seiten an. Schädel und verwitterte Gesichter spähen aus Kränzen kristallisierter Rinde, ihre dunklen Augenhöhlen folgen uns, wenn wir vorbeiziehen. Dies ist ein Friedhof, aber nicht einer für die aus Fleisch und Blut bestehenden Vorfahren der T’lan Imass, sondern für die unsterblichen Kreaturen selbst.
    Lists Visionen eines alten Krieges – hier sehen wir seine Nachwirkungen. Es waren auch eingestürzte Plattformen zu sehen, steinerne Gitterkonstruktionen, die auf Ästen thronten, die einst um sie herum gewachsen waren, und die die Knochenansammlungen umschlossen wie die Finger steinerner Hände.
    Am Ende des Krieges kamen die Überlebenden hierher; sie trugen ihre Kameraden, die zu zerschmettert waren, um weiter auf dieser Welt zu wandeln, und machten diesen Wald zu deren ewiger Heimat. Die Seelen der T’lan Imass können nicht zum Vermummten; sie können noch nicht einmal ihrem Gefängnis aus Knochen und verwelktem Fleisch entfliehen. Solche Wesen begräbt man nicht – sie zu irdischer Dunkelheit zu verurteilen, bietet keinen Frieden. Lass stattdessen die Überreste einander von ihren Sitzstangen aus ansehen, lass sie auf die selten auf diesem Pfad vorbeiziehenden Sterblichen blicken …
    Korporal List sah viel zu klar. Seine Visionen führten ihn tief in eine Geschichte hinein, die besser in Vergessenheit geraten wäre. Das Wissen drückte ihn nieder – wie es uns allen geht, wenn zu viel Wissen auf uns einstürmt. Nur mein Durst ist noch immer nicht gestillt.
    Mittlerweile waren sie auch an Steinhaufen vorbeigekommen, aus Felsblöcken aufgetürmt und gekrönt von Totenschädeln, die als Totem dienten. Das sind keine Hügelgräber, hatte List gesagt. Es sind Orte, an denen sie gekämpft haben. Verschiedene Clans. Überall dort, wo die Jaghut auf ihrer Flucht innegehalten und zugeschlagen haben.
    Der Tag neigte sich bereits dem Ende entgegen, als sie endlich ganz oben ankamen, auf einem breiten verwirrten Basolith, der seinen Kalkstein-Mantel abgelegt zu haben schien; das zu Tage tretende Grundgestein hatte die Farbe von Wein. Flache, baumlose Geländestreifen waren von Felsblöcken übersät, die in Spiralen, Ellipsen und Korridoren arrangiert waren. Pinien traten an die Stelle der Zedern, und die Zahl der versteinerten Bäume nahm ab.
    Duiker und List hatten sich im letzten Drittel des Zuges befunden; die Verwundeten wurden von einer Nachhut aus übel zugerichteten Fußsoldaten geschützt. Sobald der letzte Wagen und das wenige Vieh, das noch übrig war, den Hang hinter sich gelassen und ebenen Boden unter Rädern und Füßen hatten, machten auch die Fußsoldaten, dass sie auf die Hochebene kamen, wo sie sich unverzüglich in Truppstärke auf mehrere Aussichtspunkte und mögliche Bollwerke verteilten, von denen aus sie den Hang beherrschen konnten.
    List hielt den Wagen an und zog die Bremse fest; dann erhob er sich vom Kutschbock, streckte sich und schaute mit gehetzten Augen zu Duiker hinunter.
    »Zumindest haben wir hier oben ein besseres Blickfeld«, eröffnete der Historiker das Gespräch.
    »Das war schon immer so«, sagte der Korporal. »Wenn wir zur Spitze des Zuges marschieren, werden wir zum Ersten von ihnen kommen.«
    »Zum Ersten von was?«
    List wich plötzlich alles Blut aus dem Gesicht – ein deutliches Zeichen dafür, dass er wieder von einer Vision heimgesucht wurde, dass er durch nichtmenschliche Augen eine andere Welt und eine andere Zeit sah. Einen Augenblick später erschauerte er und

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