Im Bann der Wüste
den Armen hielt.
Und wer hält mich in den Armen?
Duiker öffnete die Augen, hob den Kopf. Hohefaust Pormqual bewegte den Mund, als würde er ein stummes Gebet sprechen und um Vergebung bitten. Das Entsetzen stand dem Mann in seinem schmalen, eingeölten Gesicht geschrieben, und als er dem Blick des Historikers begegnete, mischte sich unverhohlene Furcht darunter.
Draußen auf dem Grabhügel wogten Korbolo Doms Soldaten wie Schilf in der Strömung, eine ruhelose, sinnlose Bewegung. Diesmal war es an ihnen, die Nachwirkungen der Schlacht zu ertragen. Stimmen erklangen, wortlose Schreie, doch es waren zu wenige, als dass sie die unheilvolle Stille und ihre zunehmende Macht hätten brechen können.
Die Krähen waren fort, die gekreuzten Holzbalken waren leer, ragten blutüberströmt über den Massen auf.
Der Himmel über ihnen hatte zu sterben begonnen.
Duiker warf der Hohefaust erneut einen Blick zu. Pormqual schien zu schrumpfen, sich im Schatten Mallick Reis verkriechen zu wollen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er den Tag verleugnen.
Und wie Ihr ihn verleugnet habt, Hohefaust.
Coltaine ist tot. Sie sind alle tot.
Kapitel Zwölf
Ich sah den Bolzen der Sonne
unbeirrt einen Bogen
zu der Stirn des Mannes schlagen.
Und als er traf
sammelten sich die Krähen,
als schöpfe die Nacht Atem.
Hundekette
Seglora
S anfte Wellen leckten über den von Abfall übersäten Schlamm unter den Docks. Nachtinsekten tanzten dicht über der Wasseroberfläche, und am Ufer selbst wimmelte es von Aalen, die sich im Rausch des Laichens befanden. Schwarz und glänzend wanden sich die kleinen Kreaturen zu tausenden unter den tanzenden Insekten. Generationenlang hatten die Aale lautlos eine Bresche in das Ufer des Hafens geschlagen, ohne dass die Menschen ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätten – eine Gnade, die ihnen nur deswegen zuteil wurde, weil sie absolut ungenießbar waren.
Aus der Dunkelheit drang ein plätscherndes Geräusch. Die Wellen, die nur wenig später ans Ufer schwappten, waren größer und lebhafter als sonst; sie waren der einzige Hinweis darauf, dass ein Fremder gekommen war, der die Szene störte.
Kalam taumelte ans Ufer und brach im Schlamm zusammen, der sich unter ihm in ständiger Bewegung befand. Warmes Blut sickerte noch immer zwischen den Fingern seiner rechten Hand hervor, die er auf die Stichwunde gepresst hatte. Der Assassine trug kein Hemd, und sein Kettenpanzer versank eben in diesem Augenblick irgendwo in der Bucht von Malaz hinter ihm im Schlamm. Er hatte nur noch seine Hosen und die Mokassins aus Wildleder.
Als er in die Tiefe gesunken war und versucht hatte, seine Rüstung auszuziehen, war er auch gezwungen gewesen, seinen Gürtel und seinen Messerharnisch loszuschnallen. Und dann hatte er in dem verzweifelten Bedürfnis, zur Oberfläche zurückzukehren und Luft zu holen, alles fallen lassen.
Was bedeutete, dass er jetzt völlig waffenlos war.
Irgendwo draußen in der Bucht wurde ein Schiff regelrecht zerfetzt; zumindest ließen die Geräusche, die übers Wasser trieben, keinen anderen Schluss zu. Kalam wunderte sich nur kurz darüber. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren.
Schwache Bisse zeigten ihm, dass die Aale ihm sein Eindringen übel nahmen. Er bemühte sich, wieder ruhiger zu atmen, und schob sich weiter auf das matschige Ufer. Tonscherben bohrten sich in seine Haut, als er sich auf den ersten steinernen Wellenbrecher zog. Er rollte sich auf den Rücken und starrte zur Unterseite des Piers hinauf, an der lange Bärte aus Seetang hingen. Einen Augenblick später schloss er die Augen und begann sich zu konzentrieren.
Die Blutung in seiner Seite wurde zu einem Tröpfeln und hörte schließlich ganz auf.
Ein paar Minuten später setzte er sich auf und fing an, die Aale, die wie Egel an ihm klebten, abzupflücken; er schleuderte sie in die Dunkelheit, wo er Hafenratten hin und her huschen hören konnte. Die Kreaturen kamen allmählich näher, und der Assassine hatte genug geflüsterte Geschichten gehört, um zu wissen, dass er vor den Horden dieser Unterwelt alles andere als sicher war.
Kalam konnte nicht länger warten. Er ging in die Hocke und musterte die zerfressenen Pfähle jenseits der Wellenbrecher. Bei Flut wären die massiven Bronzeringe, die im oberen Drittel der hölzernen Pfosten eingelassen waren, in Reichweite gewesen. Die Pfähle waren mit schwarzem Pech überzogen; nur dort, wo Schiffe gegen sie gescheuert hatten,
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