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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Wenn er sich jedoch als überdurchschnittlich gut erweisen sollte, werden wir ihn töten.«
    Ah, das klingt nach Coltaine. Seine genau gezielten Pfeile aus Furcht und Ungewissheit. Er hat noch nie sein Ziel verfehlt. Solange er nicht scheitert, kann er auch gar nicht scheitern. Der Tag, an dem er stolpert, an dem er die kleinste Schwäche zeigt, wird der Tag sein, an dem unsere Köpfe rollen. Noch neun Tage, dann gibt es wieder frisches Wasser. Tötet den Tithansi-Kriegshäuptling, und wir werden es dorthin schaffen. Lass sie tanzen, wenn sie siegen, lass sie Luft holen, wenn es Verluste gegeben hat – Coltaine dressiert sie, als ob sie Tiere wären, und sie merken es noch nicht einmal.
    Hauptmann Lull beugte sich über sein Sattelhorn. »Korporal List, bist du wach?«
    Der Kopf des jungen Mannes kam langsam hoch; wandte sich nach links und rechts.
    »Verdammt sollt Ihr sein, Historiker«, grollte Lull. »Der Bursche hat Fieber vom Wassermangel.«
    Duiker schaute den Korporal an; er konnte die hochrote Farbe unter den Staubstreifen auf Lists eingefallenen Wangen sehen, die viel zu blanken Augen. »Heute Morgen war er noch nicht so – «
    »Das war vor elf Stunden!«
    Elf Stunden?
    Der Hauptmann lenkte sein Pferd zur Seite; seine Rufe nach einem Heiler zerrissen den Geräuschteppich, den Hufe, Wagenräder und unzählige Füße unaufhörlich woben – das Gemurmel des Trecks, das niemals endete.
    Elf Stunden?
    Tiere wechselten in den Staubwolken ihre Positionen. Lull kehrte zurück; an seiner Seite war Neder. Das Mädchen sah auf ihrem riesigen Rotschimmel beinahe winzig aus. Der Hauptmann griff nach den Zügeln von Lists Pferd und reichte sie Neder. Duiker blickte der kindlichen Wickanerin nach, als sie den Korporal davonführte.
    »Am liebsten würde ich vorschlagen, dass sie sich hinterher um Euch kümmern soll«, sagte Lull. »Beim Atem des Vermummten, Mann – wann habt Ihr das letzte Mal einen Schluck Wasser getrunken?«
    »Was für Wasser?«
    »Wir haben immer noch ein paar Fässer für die Soldaten. Ihr könnt Euch jeden Morgen einen Schlauch holen, Historiker – dort, wo die Wagen mit den Verwundeten sind. Abends bringt Ihr den Schlauch dann zurück.«
    »Aber in dem Eintopf ist doch Wasser, oder?«
    »Nur Milch und Blut.«
    »Aber wenn es noch Fässer für die Soldaten gibt, was ist dann mit all den anderen?«
    »Die haben das, was sie vom Sekala mitnehmen konnten«, antwortete Lull. »Wir beschützen sie, klar, aber wir bemuttern sie nicht. Ich habe gehört, dass Wasser mittlerweile die gängige Währung ist, und der Handel ist ziemlich schwunghaft.«
    »Kinder sterben.«
    Lull nickte. »Das ist eine prägnante Zusammenfassung dessen, was das Menschengeschlecht ausmacht. Wer braucht schon mehrbändige Geschichtswerke? Kinder sterben. Alle Ungerechtigkeit der Welt liegt in diesen zwei Worten. Zitiert mich, Duiker, und Eure Arbeit ist getan.«
    Der Bastard hat Recht. Volkswirtschaftslehre, Moral, die Spiele der Götter – all das steckt in dieser einen, traurigen Aussage. Ich werde dich zitieren, Soldat, da kannst du sicher sein. Ein altes Schwert, schartig und stumpf, das bis zum Herzen schneidet. »Ihr beschämt mich, Hauptmann.«
    Lull grunzte, reichte Duiker einen Wasserschlauch. »Nur ein paar Schlucke! Trinkt nicht zu schnell, sonst kotzt Ihr alles wieder aus.«
    Duikers Lächeln glich eher einer Grimasse.
    »Ich vertraue darauf«, fuhr der Hauptmann fort, »dass Ihr diese Liste der Gefallenen, die Ihr erwähnt habt, immer auf dem neuesten Stand haltet.«
    »Nein … ich fürchte, ich bin in letzter Zeit ins Stocken gekommen.«
    Lull nickte knapp.
    »Wie sieht es aus, Hauptmann?«
    »Wir werden übel zugerichtet. Richtig übel. Jeden Tag haben wir ungefähr zwanzig Tote und doppelt so viel Verwundete. Sie sind wie Schlangen im Staub – sie tauchen plötzlich auf, Pfeile schwirren durch die Luft, ein Soldat stirbt. Wir schicken einen Trupp Wickaner los, die sich an die Verfolgung machen, und sie geraten in einen Hinterhalt. Wir schicken noch einen Trupp, und plötzlich haben wir ein richtig großes Durcheinander am Hals, und unsere Flanken sind zu beiden Seiten hin weit offen. Flüchtlinge werden niedergemäht, Viehtreiber werden aufgespießt, und wir verlieren noch ein paar Stück Vieh mehr  – es sei denn, diese wickanischen Hunde sind in der Nähe; das sind üble Biester, das muss man sagen. Aber selbst die werden immer weniger.«
    »Mit anderen Worten, es kann nicht mehr lange so

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