Im Bann des Feuers Drachen2
verrücktes, altes Weib«, zischte Misutvia.
Ich beugte mich vor. »Großmutter, sobald du dich den Wächtern näherst, sobald ihnen klar wird, dass wir die Mauer durchbrochen haben, werden sie dich niederschlagen. Sie werden das Risiko nicht eingehen, dass Malaban Bri von deiner Anwesenheit hier erfährt, auch wenn du es nur tust, um sie über unsere Pläne zu informieren.«
In dem Schweigen spürte ich förmlich den Gewissenskonflikt, der in Großmutter tobte. Ich saß angespannt da und fragte mich, wie stark ihr Glaube wohl war.
»Wenn der Tod mein Schicksal ist, weil ich die Drachenjünger davon verständige, dass ihr ihre Wand zerstört habt«, flüsterte sie schließlich, »dann sei dem so. Aber sie müssen von eurer Verderbtheit erfahren. Das ist meine Pflicht.«
»Ich bringe dich um!«, kreischte Misutvia und warf sich auf Großmutter. »Du verrückte Hure, ich reiße dir sämtliche Gliedmaßen aus!«
Etwas riss, Arme schwangen durch die Luft. Großmutter keuchte erstickt. Dann ertönte ein Knall, ein schrecklicher Knall wie der einer Melone auf Stein.
Großmutter lag auf ihrem Rücken und hielt sich die Kehle, rang nach Luft nach Misutvias Angriff. Misutvia lag regungslos über ihr. Sutkabde kniete neben Großmutters Kopf, einen Farbtopf in der Hand; sie hatte ihn Misutvia gegen den Schädel geschlagen, um Großmutter zu retten.
»Wenn ich sterben muss«, erklärte Sutkabde heiser, »dann am Maul eines Drachen. Ich werde nicht bei einem vergeblichen Fluchtversuch krepieren, Rishi Via. Ich glaube an das Göttliche. Ich diene den Drachen.«
17
W ährend Sutkabde Großmutter auf die Füße half, untersuchte ich aufgeregt Misutvia, suchte nach Blut, gebrochenen Knochen, ihrem Puls, einem Lebenszeichen.
»Sutkabde, mach das nicht«, bat ich sie, noch während meine Fingerspitzen eine Schwellung unter Misutvias dünnem Haar ertasteten. »Du willst doch nicht gefangen bleiben. Du kannst unmöglich glauben, dass dies hier heilig und richtig ist!«
»Was der Tempel hier tut, ist eine Perversion«, gab sie zu, während sie Großmutter stützte, die keuchte und zitterte. »Aber das weiß ich auch: Ich werde nicht ohne die Drachen und ihr Gift weiterleben.«
»Aber es gibt doch die Nask Cinai, die Refugien für altersschwache Bullen. Als Onai kannst du an einem solchen Ort bei den Drachen liegen und ihr Gift empfangen.«
»Der Tempel würde an diesen Orten nach mir suchen.«
»Sutkabde, wenn du mit Großmutter zu den Wachen gehst, werden sie dich töten. Was ist dann mit deinem Gift?«
»Ich habe vor, dieses Debakel zu überleben, Rishi Via«, erwiderte sie. »Ich werde nicht durch den Korridor gehen, sondern ich werde Großmutter einfach nur über die Trümmer helfen, das ist alles. Großmutter ist fest entschlossen, ihre Pflicht zu erfüllen, stimmt doch, Großmutter? Ich muss sie nicht den ganzen Weg begleiten.«
»Ich strebe«, hauchte Großmutter kaum verständlich, »nach Heiligkeit.«
»Dein Streben ist wahrhaft bewundernswert, Großmutter«, sagte Sutkabde.
Ich beobachtete entsetzt, wie sie die wacklige alte Frau zur Tür der Gewölbekammer führte.
»Und jetzt?«, rief eine der neuen Frauen, als Sutkabde und Großmutter verschwunden waren.
Ich dachte angestrengt nach, während ich Misutvias Wangen streichelte, um sie aufzuwecken. Unter meinen Fingerspitzen fühlte ich ihren unregelmäßigen Puls.
»Großmutter kann doch kaum laufen.« Ich sprach meine Gedanken laut aus. »Sie wird eine Weile brauchen, bis sie das Quartier der Drachenjünger erreicht. Bringt mir die Karte, die Misutvia aufgezeichnet hat.«
Der abgerissene Ärmel aus dem schimmernden Stoff flatterte kurz vor meinem Gesicht, als eine der Frauen ihn wie ein Tuch über Misutvias Körper ausbreitete.
»Seht.« Ich deutete mit einem Finger auf die Zeichnung. »Dieser Korridor ist kürzer als der andere, und er führt zudem direkt zum Quartier der Drachenjünger. Sicher wird Großmutter den kürzesten Weg nehmen. Und bei ihrem langsamen Tempo können wir die Gemächer der Drachenjünger kurz nach ihr erreichen. Wenn die Wachen, die den Flur schützen, sie sehen, und es werden dort zweifellos Wachen stehen, werden sie ihren Posten verlassen und sich so rasch wie möglich ihrer annehmen, bevor Malaban Bri Verdacht schöpft. Sie werden hierher eilen, um uns zurückzuhalten, und sich vielleicht sogar aufteilen, um zu überprüfen, ob die Mauer, die sie vor dem Eingang der Stallungen errichtet haben, noch intakt ist.«
Ich blickte
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