Im Bann des Fluchträgers
Rücken pflügte durch die Wellen. Dornenschuppen schnitten ein zackiges Muster in das Wasser, das sofort in sich zusammenfiel. Dann ging Skigga auf Mel Amie los. In Ravins Gedanken herrschte Verwirrung. Sein Blick verschleierte sich, er schmeckte Tränen, die ihm über die Lippen liefen. Dann fiel ihm auf, dass er Mel Amies keuchenden Atem an seinem Ohr spürte. Als sie ihn hinter einen Felsen zog, blickte er in ihr blutüberströmtes Gesicht.
»Aber«, sagte er. »Du bist doch im Wasser …«
Mel Amie ließ sich neben ihm auf den Stein fallen.
»Es können nur wenige von sich behaupten, den eigenen Tod beobachtet zu haben. Und ich lege keinen Wert darauf, es mir noch einmal anzusehen.«
»Aber Amina …«
»Mir geht es gut, Ravin.«
Er fuhr herum und erblickte Amina, Ladro und Darian – nass, zitternd, doch unversehrt bis auf ein paar Schürfwunden – hinter dem Felsen. Das Banty und das größere Horjun-Pferd standen in der Nähe, Vaju und Dondo warteten ein Stück weiter. Darian kroch zu ihm. Das nasse Haar klebte an seiner Stirn, in seinen Augen flackerten Angst und diese Irrlichter, die Ravin für einen kurzen Augenblick das irritierende Gefühl gaben, in Sellas Gesicht zu schauen.
»Ravin, lass endlich los«, sagte Darian sanft. Ravin folgte seinem Blick und bemerkte, dass seine Finger schneeweiß waren und sich in einem Krampf immer noch fest um sein Messer schlossen. Er strengte sich an seine Hand zu öffnen, doch fühlte es sich an, als hätte sich eine größere und stärkere Faust um sie geschlossen, die sie nicht freigeben wollte.
»Ich kann nicht«, flüsterte er.
Darian nahm Ravins Hand in die seine und bog vorsichtig Finger um Finger auf, bis das Messer mit einem hellen Klirren auf den Felsen fiel. Dann kauerten sie sich zusammen und lauschten dem Peitschen von Skigga. Schließlich wurde das Geräusch der Wellen leiser, bis sich endlich Stille über das Flusstal senkte. Nach einer Ewigkeit, so schien es Ravin, begann irgendwo ein Insekt zu zirpen. Sie warteten, bis die Sonne ganz über den Felsen gekrochen war, bevor Ladro einen ersten Blick über den Felsrand wagte.
»Sie ist wieder untergetaucht«, sagte er und richtete sich auf. »Am Ufer liegen noch ein paar Sachen, die die Wellen angespült haben. Ich hole sie.«
»Nein, warte.« Darians Stimme war leise, doch bestimmt. »Vielleicht taucht sie wieder auf, wenn sie einen von uns sieht. Lass uns erst prüfen, ob sie wirklich weg ist.«
Er stand auf und schloss die Augen. Mit der linken Hand malte er einen kleinen Kreis in die Luft.
»Gron lan kanjahaal«, murmelte er. Dann deutete er auf das Ufer und öffnete die Augen wieder. Ladro blickte sein Ebenbild an, das langsam am Ufer entlangging. Nass bis auf die Knochen, mit Schürfmalen an Händen und Knien, erschöpft und zitternd, so wie Ladro im Augenblick wirklich aussah.
»Ich werde mich wohl nie an diesen Spiegelzauber gewöhnen«, sagte der richtige Ladro und wandte sich ab.
Sie starrten auf die glatte Wasserfläche, bereit sich bei der kleinsten Regung sofort hinter den Felsen zurückzuziehen. Doch nichts geschah.
»Du hast mir nicht gesagt, dass du diesen Zauber beherrschst«, sagte Ravin. Darian lächelte ihm zu. Für einen Moment blitzte das Bild von Darian auf, wie er früher gewesen war. Übermütig und stolz darauf, seine Freunde zu verblüffen.
»Skaardja hatte Recht, als sie sagte, dass es ein einfacher Zauber ist.«
»Der uns das Leben gerettet hat.«
Darian deutete eine kleine Verbeugung an, dann wurde er wieder ernst.
»Lass uns holen, was uns noch geblieben ist. Da vorne liegt ein Bündel, von dem ich hoffe, dass es unsere Mäntel sind.«
Mel Amie stand schwankend auf und klopfte sich den Kies von der nassen Haut.
»Vielleicht ist sie nur ein Wasserschläfer, dann wird sie uns nichts tun!«, äffte sie Darians
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