Im Bann des Fluchträgers
Morgen, an dem wir Sella getroffen haben!«
Der Naj wandte sich wieder Dondo zu und schwieg. Nach einer Weile richtete er seine glänzenden Augen wieder auf Ravin.
»Von nun an kann ich euch nicht mehr begleiten. Hier endet mein Weg, denn hinter der Biegung beginnt das Gebiet der Meernaj.«
»Halt!«, rief Ravin, als der Naj bereits untertauchen wollte. »Warte noch, bitte. Was ist mit dem Fluss passiert? Warum ist hier ein Becken?«
Der Naj gab ein knarrendes Geräusch von sich, vielleicht ein Seufzen, vielleicht eine Äußerung des Ärgers und der Ungeduld.
»Schau nach oben!« Seine Hand deutete auf den Felskamm. »Felsen sind heruntergebrochen, deshalb kann der Fluss an dieser Stelle nicht mehr fließen. Die Skigga ist ziemlich wütend.«
»Die Skigga?«
»Bewacht die Grenze zu den Meernaj.«
»Dann ist auch sie ein Naj?«
Die Fischaugen blickten ihn an und zum ersten Mal glaubte Ravin eine Regung darin zu erkennen.
Es war Verachtung.
»Ganz bestimmt nicht!«, sagte der Naj und tauchte weg.
V
on einer Skigga habe ich noch nie etwas gehört«, flüsterte Darian. Ladro und Mel Amie blickten zweifelnd auf die glatte Wasserfläche. »Vielleicht ist sie nur ein Wasserschläfer, dann wird sie uns nichts tun.«
»Ja«, sagte Mel Amie trocken. »Und vielleicht ist sie nur eine riesige Seeschlange, die Hunger hat, seit der Fluss nicht mehr genug Fische ins Becken spült.«
Die Pferde standen bereit, das Floß war bepackt und dümpelte, bereit zum Ablegen, am Ufer. Sie hatten sich ihrer Kleidung zum größten Teil entledigt. Mel Amie schnallte sich das gebogene Sichelmesser um, band sich ihr Schwert ans Handgelenk und watete bis zu den Hüften in das kalte Wasser. Zum ersten Mal schaute Ravin die Kriegerin richtig an. Sehnig und breitschultrig war sie, Muskelstränge zeichneten sich auf ihrem Rücken ab. Ihre Haut war dunkel und wie gegerbt, wie eine Landkarte leuchteten die hellen Muster vieler Narben auf ihrem Rücken. Neben ihr wirkte Amina wie ein halb verhungertes Kalb neben einem alten kampferprobten Ranjög. Dennoch war die alte Kriegerin blass, auch wenn sie ihre Angst zu verbergen suchte. Ladro hatte noch kein Wort gesprochen und starrte drohend das Wasser an, als könnte er Skigga, wer oder was sie auch sein mochte, auf diese Weise einschüchtern.
»Noch können wir umkehren«, sagte Mel Amie.
»Und zurückkehren und Zeit verlieren?«, warf Darian ein. Entschlossen schüttelte er den Kopf und biss sich auf die Lippen.
»Ravin und ich werden hinüberschwimmen. Wenn sich unsere Wege hier trennen, dann verstehen wir es und halten euch nicht zurück.«
Ravin erschrak über die Worte seines Freundes. Beim Gedanken, alleine weiterzureiten ohne Amina und die anderen, wurde ihm flau im Magen. War er bis dahin noch ruhig gewesen, so verspürte er jetzt den würgenden Druck der Angst in der Magengrube.
Zu seinem Trost blickten Amina und Ladro ebenso erschrocken wie er. Sie wechselten einen langen Blick. Wieder einmal fiel Ravin auf, dass sie wie zwei Verschwörer wirkten, und er fühlte sich einsam und ausgeschlossen. Mel Amie seufzte.
»In Ordnung«, sagte sie. »Wir kommen ja mit.«
»Dann los!«, meinte Ravin erleichtert. »Wenn wir zügig schwimmen, haben wir das andere Ufer erreicht, bevor die Sonne über dem Bergkamm steht.«
Er hoffte, dass seine Stimme munter und mutig klang, auch wenn ihm das Herz bis zum Kinn pochte und seine Knie weich waren. Allein der Gedanke, in dieses schwarze Wasser zu steigen, flößte ihm Entsetzen ein. Aminas Banty legte die Ohren an und schnaubte, die Horjun-Pferde zerrten am Zügel und trappelten auf der Stelle. Nur Vaju und Dondo tauchten ihre Mäuler mit Begeisterung in das dunkle Wasser.
»Zumindest gibt es hier noch keine brennenden Fische«, sagte Mel Amie und watete
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