Im Bann des Fluchträgers
Das Floß trieb bereits außerhalb seiner Reichweite. Darian entdeckte ihn als Erster, rief ihm etwas zu, was Ravin nicht verstand, und schwamm ihm entgegen. Ravin wischte sich das Wasser aus den Augen, seine Lungen taten weh, er keuchte. Um ihn herum war das Wasser rot. Im ersten Moment dachte er, es wäre seine Hand, doch nach wenigen Schwimmzügen bemerkte er, dass er durch eine riesige Wölke von Blut schwamm. Rötlicher Schaum kräuselte sich auf den Wellen. Als Ravin das Floß beinahe erreicht hatte, griff er in ein Büschel blutiges Mähnenhaar, an dem ein Fetzen schwarzes Fell hing.
»Ravin, schwimm!«, schrie Amina.
Im selben Moment begann das Wasser zu brodeln.
Skigga war so riesig, dass sie nur einen Teil von ihr sahen. Mel Amie schrie auf, als ein dornenbewehrter Peitschenschwanz aus dem Wasser schoss, durch die Luft pfiff und das Floß zerschmetterte. Getrocknete Fische und Holzsplitter prasselten auf sie herab. Mel Amie bekam Vajus Mähne zu fassen. Das Banty keuchte und ging mehrmals unter, Panik in den Augen.
Ein Schwall Eiseskälte strömte aus dem tiefsten Grund des Beckens zu ihnen herauf und begann sie zu lähmen wie Echsen im Schnee. Ravins Beine waren inzwischen gefühllos. Trotzdem schwamm er weiter. Das Ufer war nicht mehr weit, schon konnte er das hellere Wasser in der Uferregion sehen. Eine Welle warf ihn wieder zurück. Er fühlte mehr, als er sah, wie ein horniger, stachelbewehrter Schlauch an seinem Körper vorbeiglitt. Mel Amie stach mit ihrem Messer auf etwas ein, das direkt vor ihr zu sein schien. Plötzlich schrie sie vor Schmerz auf, doch sie klammerte sich immer noch an Vajus Mähne fest. Und Vaju schwamm so ruhig und unbeirrt weiter, dass sie als Erste das Ufer erreichten und sich an Land schleppen konnten.
Ravin wurde wieder nach unten gerissen. Er schmeckte bitteres Bergwasser und wusste nicht, wo oben und unten war. Das Licht!, dachte er. Ich muss dorthin schwimmen, wo es hell ist!
Das eisige Wasser brannte in seinen Augen, doch er kämpfte die Panik nieder und suchte nach dem Tageslicht, während er durch das Wasser gewirbelt wurde. Endlich sah er die Sonne. Die riesige, rötliche Sonne, die sich rechts von ihm befand. Aber es stimmte etwas nicht, denn diese Sonne kam näher, wurde größer – und blickte ihn an! Schemenhaft erkannte er lange, weiße Dornen, die die Sonne wie Strahlen umgaben. Mit klammen Fingern tastete er nach seinem Messer. Die Klinge funkelte unter Wasser, dann stieß er zu.
Die Wucht des Schlags schleuderte ihn hinaus in die Luft. Der Himmel trudelte über und unter ihm wie ein Jahrmarktsgaukler, dann schlug er auf einer felsenharten Oberfläche auf, ein Aufprall, der ihm die letzte Luft aus den Lungen drückte. Nach einer rauschenden Ewigkeit und einem dumpfen Übergang in absolute Stille hörte er Mel Amies Stimme: »Beweg dich nicht.« Vorsichtig öffnete er die Augen, in Erwartung, dass ihn gleich eine weitere eiskalte Welle überrollen würde. Stattdessen sah er, wie das Ufer sich immer weiter entfernte. Er begriff, dass Mel Amie ihm die Arme um den Leib geschlungen hatte und ihn wegschleifte.
In der Mitte des Sees trieben die anderen mit angstverzerrten Gesichtern und blauen, klammen Lippen. Das Banty quiekte. Nur die Regenbogenpferde schwammen ruhig. Das Wasser um sie herum war nachtblau und peitschte und brodelte. Unter der Oberfläche, ganz in der Nähe von Amina, leuchtete die Sonne. Blut schäumte auf der Wasseroberfläche. Dann durchbrach der Peitschenschwanz das Wasser und schlug nach Amina.
»Nein!«, schrie Ravin und versuchte sich aus Mel Amies Griff zu befreien.
»Schau nicht hin, Ravin!«, zischte sie in sein Ohr und drückte ihn so fest, dass er keine Luft mehr bekam.
Amina ging nicht unter. Sie verschwand einfach. Ein dorniger
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