Im Bann des Fluchträgers
»Ich habe geahnt, dass ihr an meine Tür klopfen würdet. Allerdings hatte der da« – sie deutete auf Ladro – »in meinem Traum einen braunen Fellmantel an. Und du« – sie deutete mit dem Kinn auf Ravin – »trugst einen schwarzen Mantel und Stiefel, die klirrten wie Schwerter.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Aber wo ist der Junge mit dem hellen Haar? Im Traum sah ich, dass er auf einem weißen Pferd reitet. Eigentlich hatte ich ihn hier erwartet.«
»Darian und die anderen sind noch vor den Toren Dantars«, antwortete Ravin. Ladro stieß ihn mit dem Fuß unter dem Tisch an. Sumal nickte, langte mit geübtem Griff hinter sich, holte eine Flasche hervor und zog den Korken mit den Zähnen heraus ohne den Blick von Ravin zu wenden.
»So«, sagte sie und schenkte eine grünliche Flüssigkeit ein. Ravin staunte über die Anmut ihrer Bewegungen. »Er heißt also Darian. Und ihr?«
»Ladro aus dem Taniswald in Skaris.«
»Ravin va Lagar aus Tjärg.«
»Waldmenschen also.«
Sie schwenkte ihren Becher und schob die beiden anderen über den Tisch.
»Hinag Dantar!«, sagte sie dann und hob ihren Becher. »Das heißt: ›so viel Tropfen wie in Dantars Bucht‹.«
Sie leerte den Becher in einem Zug, dann lehnte sie sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Ravin blickte zweifelnd die grüne Flüssigkeit an.
»Was ist?« Sumals Stimme klang freundlich, doch reserviert. »Wollt ihr meine Gastfreundschaft nicht’ Wenn ich euch vergiften wollte, hätte ich es längst getan.«
Sie deutete auf eine Reihe von dünnen Speeren, deren Spitzen in einem Topf mit klebriger, heller Flüssigkeit steckten. Zögernd hoben Ravin und Darian ihre Becher.
»Hinag Dantar!«, sagten sie gleichzeitig und tranken einen Schluck des sauren Getränks.
»Was ist das?«, fragte Ravin und bemühte sich das Gesicht nicht zu verziehen.
Sumal lächelte.
»Ihr seid wirklich Fremde. Das ist Giel – Algentee! In Dantar gibt es mehr als hundert verschiedene Sorten.«
Sie lehnte sich zurück. Ihr Lächeln verschwand.
»Nun«, sagte sie. »Was wollt ihr von mir? Braucht ihr Snaifisch?«
Ihre Stimme klang weder freundlich noch unfreundlich, kühl musterte sie Ravins Gesicht, seine Hände, sein grünes Tuch. Ravin räusperte sich und stellte den Becher ab.
»Nein, wir brauchen eine Überfahrt.«
»Dann seid ihr falsch bei mir. Ich bin Fischerin.«
»Du bist Kapitänin.«
Ihr Gesicht wurde noch unbewegter.
»Ich bin die Kapitänin eines Fangbootes, wenn ihr so wollt.«
Ravin beschloss, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken und damit vielleicht ein paar Steine in der unüberwindbaren Festung zu lockern.
»Wir kommen gerade aus Flut. Deine Ruder sind fertig.«
Wenn sie überrascht war, verbarg sie es gut.
»Wurde auch Zeit«, sagte sie und nahm einen tiefen Schluck. Zu gerne hätte Ravin sie nach ihrem versunkenen Haus in Flut gefragt, doch er wusste, dass es unhöflich gewesen wäre.
»Könnte uns dein Rudermacher einen anderen Kapitän nennen?«
Sie lachte so unvermutet los, dass sie sich verschluckte. Ravin wollte aufspringen, doch sie winkte ab und lehnte sich über den Tisch. Ihre Augen blitzten.
»Hört mal zu. Die ganze Stadt spielt verrückt, seit die Truppen aufgetaucht sind. Gehört ihr zu denen?«
Ravin schüttelte den Kopf.
»Dann seid ihr nur zufällig auf demselben Weg wie sie? Im Wal erzählt man sich, dass sie mit den Schiffen das Komos-Kap umsegeln wollen um zur Galnagar-Bucht zu gelangen. Und wenn meine Ahnung mich nicht trügt – das tut sie selten –, dann wollt ihr auch dorthin.«
Ladro zögerte, schließlich nickte er.
Sumal Baju lehnte sich zufrieden zurück.
»Es wird schwierig sein, einen Kapitän zu finden. Wenn ihr in Flut wart, dann habt ihr die Kriegsschiffe gesehen. Seit zwei Monden sind unsere Schiffbauer,
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