Im Bann des Fluchträgers
plötzlich, als hätte er Ravins Gedanken erraten. »Badok will Tjärg einkesseln. Hätten wir das doch vorher gewusst!«
»Dann wären wir auch nicht schneller vorangekommen«, erwiderte Ravin. »Wenn sie mit den Schiffen übersetzen wollen, müssen wir ihnen eben zuvorkommen.«
Ladro biss sich auf die Unterlippe. Sie schwiegen so lange, bis Ravin es nicht mehr aushielt.
»Hast du bemerkt, wie Amina sich verändert hat? Wenn Darian sie nicht zurückgehalten hätte, sie hätte getötet.«
»Ja. Und sie weiß, dass sie sich verändert.«
»Ladro, warum wird sie zur Woran?«
Ladro sah ihn überrascht an. Ravin spürte, dass ihm diese Frage unangenehm war, dennoch überwand er seine Höflichkeit und fragte weiter.
»Wer hat diesen Fluch über sie gesprochen? Was hat sie getan?«
Ladro räusperte sich. Ravin wartete, dass er etwas sagen würde, doch er schwieg und betrachtete den mondbeschienenen Seilerbaum. Ravin war sich bereits sicher, dass er keine Antwort erhalten würde, als Ladro plötzlich Luft holte.
»Sie hat nichts getan. Nein, es …«
Wieder folgte eine Pause, in der Ravin vor Ungeduld am liebsten »Was denn?« geschrien hätte.
»Es hat mit ihrer Mutter zu tun.«
»Sie war eine Bergshanjaar wie Skaardja, nicht wahr? Hat Diolen sie getötet?«
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es Diolen war, Badok oder die Krieger aus Run. Es geschah in der Zeit, als sie in Skaris auftauchten. Ja – sie wurde ermordet.«
»Hat Amina sich daraufhin mit den Mächten des Blutmondes eingelassen? Aus Kummer und Hass?«
Ladro lächelte dünn.
»Das brauchte sie nicht. Amina ist eine Halbworan, Ravin.«
Ravin klappte der Unterkiefer herunter. Seine Gedanken verhedderten sich.
»Aber das ist nicht möglich!«, rief er. »Jolon sagte mir, ein Woranfluch vererbt sich nicht.«
»Auch Amina dachte das. Sie muss nun das schmerzliche Gegenteil erfahren.«
»Dann war Aminas Mutter also eine Woran. Amina und ihr Bruder lebten mit einer Woran …«
Bei der Erwähnung von Aminas Bruder runzelte Ladro irritiert die Stirn, ging aber nicht näher darauf ein, sondern erzählte weiter:
»Ihre Mutter war eine gute Shanjaar gewesen. Doch lange vor Aminas Geburt hatte sie sich an den Worankünsten versucht. Wie so viele dachte sie, man weckt den Fluch und kann sich nur einen Teil nehmen. Viele Jahre hat der Fluch in ihr geschlafen. Aber dann, als die ersten Kämpfe stattfanden und am Berg Blut vergossen wurde, erwachte er. Amina hat die ersten Veränderungen gleich bemerkt. Sie hat mir erzählt, dass sich ihre Mutter in den Mondnächten allein noch weiter in die Berge zurückzog. Und vielleicht hat sie deshalb solche Angst, selbst eine zu werden. Sie weiß, was wir mit ihr erleben, denn sie hat dasselbe mit ihrer Mutter durchgemacht. Die zwei Personen, die in ihr leben. Der Schatten, der sich immer weiter über ihre Seele breiten wird. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod …«
»Eine Woran zu sein, heißt allein zu sein. Auf der dunklen Seite der Berge zu leben«, sagte Ravin. »Und ihr Bruder? Kämpft er auch gegen den Fluch?«
Ladro rieb sich die Augen.
»Ich weiß es nicht, Ravin. Sie hat mir nicht viel von ihm erzählt.«
»Können wir denn nichts tun?«
Ladro schüttelte den Kopf.
»Nichts, Ravin. Nur rechtzeitig fliehen. Bevor wir sie töten müssen, weil sie uns töten will.«
Ravin war kalt, Frost schien durch seinen Umhang zu kriechen und sich um sein Herz zu schließen.
»Das meinst du nicht ernst, Ladro!«
Ein bitteres Lächeln umspielte Ladros Lippen.
»Nein. Ich könnte Amina niemals etwas antun.« Er sah Ravin an. »Und du noch viel weniger. Das weiß sie. Und deshalb wird sie gehen, wenn es an der Zeit ist.«
»Warum reitet sie mit uns nach Tjärg?«
Ladro zuckte zusammen.
»Wie meinst du das?«
»Die Reise zehrt an ihren Kräften. Warum
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