Im Bann des Fluchträgers
erkannte, dass sie sich vor der Gestalt fürchteten. Doch in das Gefühl der Erleichterung mischte sich sofort der bittere Geschmack der eigenen Niederlage.
»Jolon, ich habe versagt. Die Quelle kann dir nicht helfen«, flüsterte er. »Wir sind ausgeliefert und Tjärg in Gefahr!«
Jolon schloss die Augen. Die Gestalt trat vor ihn und breitete den Umhang über ihn. Es ist der Tod, dachte Ravin verzweifelt. Aber warum ist er dunkel? Ich bin schuld, dass meinen Bruder ein dunkler Tod erwartet!
»Na«, sagte Laios. »Nicht verzweifeln. Das ist nur ein Traum.«
Das Gesicht des Zauberers strahlte im rötlichen Schimmer des Feuers.
»Warum kann ich dich hören?«, fragte Ravin. »Bist du hier?«
»Unsinn.« Laios lachte. »Glaubst du, ich lerne auf meine alten Tage zu fliegen wie ein Vogel?« Doch sofort wurde sein Gesicht wieder ernst. »Ich habe dich lange gesucht, Ravin. Du weißt viel besser als ich, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt, um zu Gislans Burg zu kommen. Ich weiß nicht, ob ich in Zukunft zu dir sprechen kann. Nur so viel: Ihr seid auf dem richtigen Weg. Verlasst euch auf die Regenbogenpferde. Sorge dich nicht um verlorene Leben und hüte dich vor den Hallgespenstern. Hast du mich verstanden?«
»Ja«, sagte Ravin. »Doch was ist mit Jolon? Die Quelle …«
Laios prüfender Blick verharrte kurz auf Ravins Mund, dann sah er Ravin wieder in die Augen und schüttelte den Kopf. »Du hast gehört, was ich über verlorenes Leben gesagt habe.«
»Jolons Leben ist nicht verloren! Ich muss einen Weg finden …!«
Laios runzelte unwillig die Stirn.
»Ja, Sohn. Ich weiß. Aber jetzt geht es um Tjärg. Dort wo du bist, wirst du die Quelle nicht finden. Nur eines wirst du finden, wenn du dickköpfig bist: Unheil und Tod. Bedenke: Wenn Jolon stirbt, weil der Tod schneller reitet als du, dann nützt ihm auch Skaardjas Quelle nichts mehr. Entscheide dich!« Und Laios streckte seine Hand aus und legte sie über Ravins Augen. Die Finger fühlten sich an wie harte Äste. Einer davon ritzte seine Wange. Ein mondförmiges Mal brannte sich in Ravins Wange, dann ebbte der Schmerz ab und Ruhe breitete sich in ihm aus. Benommen blickte er an sich hinunter und erkannte, dass er die ganze Zeit schon ein fremdes, weißes Gewand trug. Aus der Wunde auf seiner Wange tropfte Blut. Rankenförmige Ströme tränkten den Stoff, wurden breiter, saugten sich in die Fasern, bis das Gewand über und über rot war. Laios wurde durchsichtig, bis nur noch seine verklingende Stimme über das Gras geweht wurde. Von weit her hörte er die Stimme: »Küsse keine Feuernymphen mehr, hörst du? Brandnarben im Gesicht mögen heldenhaft aussehen, aber schön sind sie nicht.«
Noch bevor ihm bewusst wurde, dass der Traum vorbei war, spürte Ravin, wie ein Luftzug sein tränenfeuchtes Gesicht kühlte. Vaju schnaubte ihm in die Halsbeuge. Ohne die Augen zu öffnen hob er den Arm und verhakte seine Finger in der wasserweichen Mähne. Laios wusste also, dass sie auf dem Weg zur Burg waren. Dann wusste er auch, dass Tjärg in Gefahr war. Und Jolon? Wenn die Gestalt nicht der dunkle Tod war, was war sie dann?
Vorsichtig öffnete er die Augen und sah, dass der Morgen dämmerte. Unweit von ihm saß Mel Amie und rührte in einer flachen Mulde Schlamm an, mit dem sie Dondo bereits fast ganz eingerieben hatte. Er sah fleckig aus und ähnelte tatsächlich weniger denn je einem Regenbogenpferd. Auch die prächtige Mähne hatte Mel Amie unbarmherzig gekürzt. Nach einem längeren Gespräch hatten sie am gestrigen Abend beschlossen, dass sie und Ladro die zwei Tage bis zur Abfahrt bei den getarnten Pferden bleiben würden.
»Je später ich Schiffe sehe, desto besser für mich«, waren Mel Amies Worte. Amina und Darian dagegen lauschten Ravins Bericht atemlos. Und Darian lachte und klopfte Ravin
Weitere Kostenlose Bücher