Im Bann des Fluchträgers
stämmiger Mann auf einem riesigen braunen Pferd mit eimergroßen Hufen. Er hielt zwei Ponys mit viel Gepäck auf dem Rücken am Zügel. Um die Schultern trug er einen langen Umhang aus lockigem Silberschaffell. Sein langer Bart war schwarz wie seine Augen, doch trotz seines verschlossenen Gesichtsausdrucks mochte Ravin ihn auf Anhieb.
»Ihr habt Glück«, sagte Laios statt einer Begrüßung. »Der Sturm ist vorbei. Das ist unser Stall- und Rossmeister Iril.« Iril nickte und schwieg. »Er hat einige Tjärgpferde in der Nähe der Burg gesehen. Zwei davon werdet ihr euch für die Reise aussuchen.«
»Danke«, sagte Ravin.
»Bedanke dich bei der Königin, wenn du von der Reise zurückkehrst. Sie hält große Stücke auf Jolon und dich.«
Laios lächelte verschmitzt.
»Sie wird euch auf eurer Reise begleiten, auf ihre Weise. Glück auf deinem Weg!«
Ohne auf Ravins Antwort zu warten wandte er sich an Darian.
»Zeige, dass du mein bester Schüler bist. Glück auf deinem Weg!«
Darian senkte den Kopf und wurde rot.
Sie waren schon beinahe am Waldrand angelangt; als Ravin sich umblickte war Gislans Burg über und über in das Morgenlicht getaucht. Unter den Strahlen der Sonne waren die Mauern der Burg zum Leben erwacht und schillerten wie Perlmutt in allen Farben des Regenbogens. Im nassen Gras brach sich das Licht in Tautropfen, die aussahen, als lägen überall winzige Mondsteine verstreut. Was Ravin ebenfalls immer wieder vor sich sehen sollte, war die gebeugte Gestalt von Laios, der neben den Wächtern stand und ihnen nachblickte.
Erleichtert atmete Ravin die Waldluft ein und freute sich auf die Nacht unter freiem Himmel, die vor ihnen lag. Gegen Mittag wurde der Weg steiler, die Bäume lichteten sich und gaben den Blick frei auf Bergwiesen, die sich wie grüne Matten an den Fuß der Südberge schmiegten.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Iril. Es waren die ersten Worte, die er überhaupt sprach. Ravin trieb sein Pony an und holte den Stall- und Rossmeister ein. Um ihm von seinem Pony aus ins Gesicht sehen zu können, musste er den Kopf in den Nacken legen.
»Bist du häufig bei den Herden?«
Iril schaute noch düsterer und zuckte die Schultern.
»Früher schon, jetzt nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Die Herden ziehen sich zurück.«
»Hast du schon einmal ein Tjärgpferd geritten?«
»Natürlich.«
»Und?«
Iril zuckte wieder die Schultern.
»Du wirst es sehen.«
»Was ist, wenn die Herde nicht mehr am See ist?«
»Sie ist dort.«
Ravin gab das Fragen auf und spähte stattdessen über die Wiesen. Er erinnerte sich daran, was sie im Wald von den Tjärgpferden erzählten. Weiß waren sie und schnell und wendig wie Pfeilfische. Sie ließen sich nicht zähmen. Wenn sie einen Reiter trugen, dann nur weil sie ihn duldeten.
Endlich kam ein kleines Tal in Sicht. Ein winziger See lag darin wie ein im Gras vergessener Spiegel. Darian zügelte sein Pony. Bedächtig stieg Iril ab, nahm eine Ledertasche vom Sattel und zog daraus ein Muschelhorn hervor.
Es blitzte in der Sonne auf, als Iril es an die Lippen setzte. Ein schnarrender Ton erklang, schwoll an, vibrierte über die Wiesen und brach sich als Echo an den Talwänden. Ravin spürte den dunklen Klang tief in seinem Bauch. Ein, zwei Augenblicke war es still, dann antwortete wie ein verspätetes Echo ein Wiehern dem Ruf der Muschel.
Iril lächelte.
»Warum folgen sie dem Muschelton?«, fragte Ravin. Iril strich über die Muschel und wiegte den Kopf.
»Es heißt, dass die Regenbogenpferde aus dem Meer stammen. Ursprünglich waren sie Wellen mit Mähnen aus Schaum. Eines Tages kam Anila, die Salzprinzessin, zum Meer. Der Wächter der lichten Grenze sah sie und verliebte sich in sie. Doch als er sie in seinem Wagen über den Himmel entführen wollte, gelang es ihr, die Fesseln zu lösen. Sie sprang ins Meer, das
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