Im Bann des Fluchträgers
Ravin auf Zeichnungen bewundert hatte. Als es Ravin entdeckte, blieb es stehen. Die Ohren schnellten nach vorn, es sah ihn verdutzt an. Iril ließ die lange Mähne los. Das Regenbogenpferd rührte sich nicht. Ravin hielt dem Pferdeblick stand. Das Pferd schien verwundert einen Menschen zu sehen, der sich so sehr von Iril unterschied. Er lächelte und trat einen Schritt vor. Sofort legte das Pferd die Ohren an und machte einen Schritt zurück. Ravin biss sich auf die Lippe. Bitte bleib hier, bat er im Stillen. Langsam streckte er die Hand aus. Das Pferd schnaubte und ging einen weiteren Schritt zurück.
Ganz leise begann er zu sprechen. Zögerlich kam erst ein Ohr wieder nach vorn, dann das andere. Ravin ließ seine Hand ausgestreckt und näherte sich erneut. Als er beinahe schon den warmen Atem an seiner Hand spüren konnte, blieb er stehen und ließ das Pferd mit dem Seepferdchenkopf den letzten Schritt machen. Es entspannte sich und kam zu ihm. Ravin strahlte, als er die warmen Nüstern in seiner hohlen Hand fühlte, und umschloss den warmen Atem wie ein Geschenk.
»Hier«, sagte er zu Iril. »Dieses hier ist es.«
Iril nickte und reichte ihm das Halfter, das Ravin seinem Pony abgenommen hatte.
»Sie heißt Vaju. Sie ist sehr ruhig, aber wie du siehst, sucht sie sich ihre Freunde mit Bedacht aus.«
Darian hatte ein hochbeiniges, schlankes Pferd mit einem dünnen Hals entdeckt, das er nun zu fangen versuchte. Doch sobald es ihm gelang, seine Mähne zu fassen, machte es einen Satz, schlug aus oder drängte ihn mit angelegten Ohren gegen eines der anderen Pferde. Darian lachte und versuchte es immer wieder mit allerlei Listen. Dennoch dauerte es eine ganze Zeit – Ravin hatte Vaju bereits den Sattel aufgelegt –, bis es sich endlich von Darian greifen und aus der Herde führen ließ.
»Ich habe es!«, rief Darian schon von weitem. »Wie heißt es?«
»Dondolo«, sagte Iril und murmelte Ravin zu: »Ausgerechnet der Wirbelwind der Herde. Pass auf, dass Darian sich nicht das Genick bricht.«
Iril half ihnen, auch Dondolo zu satteln und das Gepäck von den Ponys umzuladen, immer noch unter den aufmerksamen Blicken der Regenbogenpferde, die keine Anstalten machten, in den Wald zurückzukehren.
Eine diesige Mittagssonne schien inzwischen auf sie herab. Iril zog ein kleineres, bauchiges Muschelhorn aus der Tasche und überreichte es Ravin.
»Nach Skaris geht es dort entlang«, meinte er. »Und denkt daran: Wasser könnt ihr nicht binden – Tjärgpferde auch nicht. Niemand wird sie euch stehlen können.«
Er ging zu seinem Pferd zurück ohne sich noch einmal umzudrehen. Dondolo machte einen Satz zur Seite, ehe Darian aufsteigen konnte, doch schließlich brachen sie, von den anderen Regenbogenpferden immer noch misstrauisch beäugt, auf.
Ravin fühlte sich, als säße er in einem Boot. Weich und fließend war Vajus Gang und trotzdem spürte er bei jedem Schritt die federnde Spannung von Muskeln und Sehnen. Die Herde folgte ihnen in sicherem Abstand bis weit über die Talsohle hinaus. Sooft sie sich umblickten, leuchtete am Horizont ein Streifen heller Gischt, der sich erst bei Anbruch der Dämmerung nach und nach verlor.
I
hr Weg führte sie parallel zu den Ausläufern der Südberge zum Grenzland. In den ersten Tagen ritten sie zügig und legten immer wieder einen längeren Galopp ein, doch nach einigen Tagen begann die Ruhe der einsamen Berggegend sie zu umfangen. Ihre anfängliche Eile legte sich und sie setzten ihre Reise in einem Rhythmus fort, der ihnen und den Pferden besser entsprach. Auf diese Weise entgingen ihnen die Spuren und Trampelpfade nicht, die in die Dörfer führten, die sich wie Nester in den Hängen verbargen. Sie ritten über Steilwege und Serpentinen in jedes davon und
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