Im Bann des Fluchträgers
Taten sind berühmt bis weit hinter die Grenzen von Fiorin und Lom. Es gibt kein einziges Hallgespenst, das nicht augenblicklich zu Asche zerfällt, wenn mein Name genannt wird! Aber …« Sein würdevoller Gesichtsausdruck wich einem ironischen Lächeln, »… das ist natürlich nur gelogen. Wahr ist, dass es zwischen dem Nord- und Südtor dieser Burg kein Wesen gibt, das nicht schon bei meinem Anblick mitleidig lächelt.«
Etwas an diesem Jungen wirkte traurig, obwohl er eine Mauer von Fröhlichkeit um sich herum aufgebaut hatte.
Darian setzte sich wieder und musterte Ravin.
»Jetzt lass mich raten, wer du bist. Du bist einer der eingebildeten Schreiber aus Lom.«
Zum ersten Mal seit seiner Ankunft musste Ravin lachen.
»Ganz bestimmt nicht.«
»Moment, gleich weiß ich es. Du bist ein Krieger aus Tana – du fürchtest dich vor niemandem und bist stärker als drei der eingebildeten Gesandten aus Lom.«
»Schön wär’s.«
»Auch nicht? Dann vielleicht ein Woran, der den Mond verdunkelt um ungesehen zu töten?«
»Um Himmels willen!«
»Ein Hallgespenst!«
»Nein.«
»Ein Windwolf.«
»Nein! Du weißt, wer ich bin. Ich bin Ravin va Lagar, ein Waldmensch. Aus dem Tjärgwald nordöstlich der alten Steinburg.«
»Ich weiß.«
Darians Gesicht wurde ernst, die Maske der Fröhlichkeit fiel von ihm ab.
»Ich weiß«, wiederholte er leise. »Dein Bruder ist Jolon. Und ich soll mit dir ins Grenzland reiten und Skaardja suchen.«
Ravin sah zu Boden. Die Worte hatten alle Fröhlichkeit weggeweht. Zurück blieb eine beklemmende Stille. Da war er wieder: Jolon, sein Bruder.
»Es tut mir Leid, was mit ihm geschehen ist«, sagte Darian.
»Laios hat mir alles erzählt, was ich wissen muss. Ich weiß genauso viel oder wenig über Skaardja und ihre Quelle wie Laios. Aber wir werden sie finden.«
Es klang, als wollte er sich selbst Mut zusprechen, dennoch tat selbst die unaufrichtige Sicherheit in Darians Stimme Ravin wohl.
»Hast du von … Jolon geträumt?«
Ravin nickte, dann riss er sich zusammen und beschloss, noch etwas mehr von seinem seltsamen Reisegefährten in Erfahrung zu bringen.
»Bist du schon lange Laios’ Schüler?«
»Wie man’s nimmt.« Darian lachte. »Für mich sind fünf Winter eine lange Zeit. Aber für Laios ist es gerade mal so lang.« Er schnippte mit dem Finger.
»Und wann hast du dich entschlossen ein Shanjaar – ein Zauberer – zu werden?«
»Ehrlich gesagt habe ich mich gar nicht dazu entschlossen. Es war Laios, der sich dazu entschlossen hat, mich zu einem zu machen.«
Er bemerkte Ravins neugierigen Blick und fuhr fort.
»Ich komme aus Lewine, vielleicht kennst du es, ein Dorf jenseits der Südberge. Ich wuchs bei meinem Onkel auf, bis Laios eines Tages als Reisender Unterkunft suchte. Mein Onkel wollte mich loswerden und gab mich Laios als Lehrling mit. Ich war froh von meinem Onkel wegzukommen. Kein spannendes Leben war das, das kann ich dir sagen. Den ganzen Tag auf dem bergigen Feld und abends die Pferde versorgen.«
»Tjärgpferde?«
Darian lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, bei uns lebte nie ein Tjärgpferd. Aber ich habe sie oft gesehen. Sie zogen in Herden durch das Gebirge. Zurzeit gibt es nicht viele. Sie haben sich zurückgezogen.«
»Bei uns im Wald hat sich ebenfalls viel verändert.«
Darian blickte ihn aufmerksam an.
»Hallgespenster?«
Ravin nickte. »Inzwischen ja. Und in diesem Sommer gibt es schlimme Stürme. Viele Jalabäume sind verkümmert. Die Menschen sind unruhig und träumen von Feuer und Verwüstung. Unsere Shanjaar sind besorgt.«
Sie schwiegen. Nach einer Weile seufzte Darian.
»Ich will ehrlich sein, Ravin«, meinte er leise. »Es steht schlimm, das weißt du ebenso gut wie ich. Und wahrscheinlich bin ich von uns beiden derjenige, der mehr Angst hat. Mir erscheint diese
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