Im Bann des Fluchträgers
mit einem Mal salzig wurde. Im Wasser sank sie hinab und begann zu ertrinken. Die Wellen hatten Mitleid mit ihr und trugen sie auf ihren Schaummähnen ans Ufer. Zum Dank nahm Anila sie mit aufs Festland. Dort verwandelten sie sich in Regenbogenpferde. Doch bis heute können sie dem Ruf des Meeres nicht widerstehen.«
Ravin hatte erstaunt zugehört. In Anbetracht von Irils Schweigsamkeit war dies sicher die längste Ansprache, die sie jemals von ihm hören würden.
»Da sind sie!«, rief Darian und deutete zum Waldrand.
Zunächst sah es aus wie ein heller Nebelstreif, doch es wurde rasch größer, Hufschläge erklangen wie fernes Donnern der Brandung. Die Sonne kam hinter den Wölken hervor. Ravin musste die Augen schließen, so hell glänzten die Pferdeleiber, so viele waren es, dass er sie nicht auseinander halten konnte. Die Herde trabte auf sie zu, die langen Hälse in die Luft gereckt. Ravin hielt unwillkürlich den Atem an, erstaunt von so viel Anmut. Hingerissen betrachtete er die feinen Köpfe, die federnden Sprünge und das geschmeidige Spiel der langen Beine. Als sie näher herangetrabt waren, erkannte er zu seinem Erstaunen, dass die Pferde gespaltene, hellgraue Hufe hatten wie Ziegen. Schließlich wurden sie langsamer und blieben mit gespitzten Ohren stehen. Einige hoben die dunkelgrauen Nüstern in den Wind und tänzelten auf der Stelle. Ravin erkannte nun, warum sie Regenbogenpferde hießen: Ihre Mähnen und Schweife waren ungewöhnlich lang. In der Sonne schimmerten sie wie das Muschelhorn in allen Reflexen des Regenbogens. Pferde aus Perlmutt, dachte Ravin. Iril lächelte stolz und stützte sich auf seinen Sattelknauf.
»Geht und sucht. Aber denkt daran: Wenn eines euch nicht tragen will, müsst ihr ein anderes fragen.«
Hunderte von dunklen Augen sahen aufmerksam zu, wie Ravin und Darian von den Ponyrücken glitten. Weiche, behaarte Ohren zuckten. Ein Windstoß trug den Hauch einer Meeresbrise durch das Tal. Ravin ging einige Schritte auf das Meer von geschmeidigen Leibern zu und sie teilten sich wie eine einzige schäumende Woge um hinter ihm wieder zusammenzufließen. Auf den ersten Blick glichen sie sich aufs Haar. Neugierig beobachteten sie ihn, wichen einen Schritt zurück, schüttelten die Köpfe, dass die Mähnen durch die Luft wirbelten, und legten die Ohren an. Ravin war ratlos und warf Iril einen Hilfe suchenden Blick zu. Iril sprang vom Pferd und trat zu Ravin. Vor ihm wichen die Pferde nicht zurück, sondern ließen es sich sogar gefallen, dass er ihnen mit seiner riesigen Hand die Stirn kraulte. Schließlich fasste er ein großes, schlankes Pferd an der Mähne und führte es zu Ravin.
»Kelpie. Der Schnellste der Herde.«
Ravin trat langsam näher. Das Pferd scheute und biss Iril in den Arm. Iril ließ ihn los, der Hengst bockte und tauchte wieder in der Herde unter. Der Stall- und Rossmeister rieb sich den Arm. Er schien nicht im Mindesten so bestürzt zu sein wie Ravin. Beim Blick in sein Gesicht brach er sogar in Lachen aus.
»Keine Sorge«, beruhigte er ihn. »Wir brauchen Geduld.«
Schon war er wieder zwischen den glänzenden Leibern verschwunden. Er kam mal mit großen, mal mit zierlicheren Pferden zurück, sie hießen Mandil, Calla, Dir oder Isem, doch alle bockten sie sofort oder dann, wenn Ravin sich ihnen näherte. Ravin sank der Mut. Darian war ihm keine große Hilfe, er war in der Herde untergetaucht und suchte auf eigene Faust.
Schließlich tauchte Iril wieder auf, ein zierliches Pferd hinter sich herziehend, das ihm offenbar nur widerwillig folgte. Auf den ersten Blick hätte man es für ein Pony halten können. Es hatte einen schönen Kopf mit breiter Stirn, eine schmale Nase und einen biegsamen Hals, ähnlich einem Seepferdchen, das
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