Im Bann des Fluchträgers
die Flossen auf einen Haufen, schnitten die Stacheln aus dem Rücken und legten sie in einen Korb. Dann schlitzten sie den Fisch in zwei Hälften und zerteilten ihn. Dunkelrotes Fleisch leuchtete in der Morgensonne.
Ravin stellte sich vor, dass Sumal sonst diese Arbeit machte. Er fragte sich, ob sie diese Arbeit hasste oder liebte.
Verstohlen warf er einen Blick auf Amina. Still und mit ernstem Gesicht saß sie neben ihm.
Die Morgensonne legte einen rötlichen Schein über ihre linke Wange. An einem anderen Morgen hätte Ravin über dieses Bild gelächelt, denn sie sah aus, als würde sie nur auf einer Seite erröten.
»Ich habe dich beim Fischerfest beobachtet«, sagte sie.
Ravin schwieg und fühlte, wie er rot wurde. Ihre Stimme klang traurig.
»Du sahst glücklich aus. Ich wusste nicht, dass es einen glücklichen Ravin gibt. Man lernt jemanden kennen und denkt, er ist so, wie man ihn sieht. Und vergisst, dass jeder Mensch tausend Menschen sein kann.«
Die Vertrautheit zwischen ihnen war ungewohnt. Noch erinnerte er sich zu gut an die andere Amina, deren Seele von dunklen Schatten durchzogen war.
»Du hast Recht, für einen Moment habe ich gestern alles andere vergessen. Außerdem habe ich in der vergangenen Nacht endlich Jolon gesehen. Und Laios.«
Ihr Blick wurde freundlicher. Mit Erleichterung sah er, dass sie lächelte.
»Deshalb siehst du so fröhlich aus.«
Ein Funken Spott blitzte in ihren Augen auf.
»Und ich dachte schon, du hättest dich in diese wundersame Kapitänin verliebt!«
»In Sumal?« Ravin lachte. »Ein Waldmensch und eine Kapitänin. Wir wären ein wunderbares Paar!«
Die meisten Fischer hatten ihren Fang zerteilt, große Fleischstücke auf Seile gezogen und trugen sie nun auf den Rücken geworfen wie riesige nasse Beutel zum Fischmarkt. Dantarianer erschienen und gingen ebenfalls dorthin. Fensterläden knarrten, Türen klappten.
»Amina?«
»Ja?«
Sie war blass und sah so verletzlich aus, als würde sie einen Schlag ins Gesicht erwarten.
»Als ich dich beim Tanz beobachtet habe, sah ich, dass ich nicht der Einzige war, der sein Unglück vergessen konnte.«
Die Trostlosigkeit in ihrem Blick, die Qual waren so deutlich, dass er sich auf die Lippe biss und sich schalt überhaupt etwas gesagt zu haben. Doch sie riss sich zusammen und antwortete.
»Ich habe beinahe vergessen, wie das ist, Tanzen! Und das ist das Schreckliche daran: der Gedanke, dass ich hier das letzte Mal getanzt habe, dass wir alle hier vielleicht zum letzten Mal glücklich waren«, sagte sie. Ihre Stimme klang erstickt, mit einer fahrigen Bewegung wischte sie sich über die Augen. Es gab Ravin einen Stich, als er sah, dass sie weinte.
»Erinnerst du dich an das, was du mir vor Skaardjas Höhle gesagt hast? Dass wir niemals unsere Brüder aufgeben dürfen?«
Sie schüttelte trotzig den Kopf.
»Ich habe Angst, Ravin! Ich spüre, wie der Blutmond auf meinen Händen brennt. Jede Nacht träume ich … Ich kann dir nicht sagen, was ich träume.«
Er schwieg. Sie hatte Recht. Sie würde sich verwandeln, bald würde die dunkle Seite des Mondes für immer von ihrer Seele Besitz ergreifen. Behutsam legte er den Arm um ihre Schulter. Sie sah ihn überrascht an, dann senkte sie den Kopf. Ravin spürte, wie sie zitterte. Er kam sich fehl am Platz vor. Vermutlich hätte sie lieber Ladro hier. Er betrachtete ihr schwarzes Haar und erkannte mit einem Mal, was ihn an ihrem Anblick so verwirrt hatte. Das Sonnenlicht, das darauf fiel, warf keine Reflexe zurück. Es war ein Schwarz, das jedes Licht verschluckte. Ravin schauderte und wünschte sich nichts sehnlicher, als Skaardja um Rat fragen zu können.
M
el Amie hatte sich mit dem Horjun-Pferd große Mühe gegeben. Auf einem der Höfe hatte sie Snaigalle erstanden und damit die Mähne
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