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Im Bann des Fluchträgers

Im Bann des Fluchträgers

Titel: Im Bann des Fluchträgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Ra­vin und Dari­an stan­den Schul­ter an Schul­ter an Deck und blick­ten auf Dan­tar zu­rück. Vom Schiff aus be­trach­tet wirk­te die Stadt schutz­los wie ein Tier, das auf dem äu­ßers­ten Rand ei­nes Fel­sens kau­er­te, den Ab­grund un­mit­tel­bar vor sich. Vor den nied­ri­gen Häu­sern, die sche­men­haft aus dem Dun­kel her­vor­tra­ten, wirk­ten Dio­lens Kriegs­schif­fe noch grö­ßer und be­droh­li­cher als vom Ha­fen aus. Ne­ben ih­ren ge­wal­ti­gen Rümp­fen nahm sich die Jon­tar aus wie ein harm­lo­ses Kö­der­fisch­chen ne­ben ei­nem hung­ri­gen Snai. Su­mal Ba­ji stand am Steu­er, doch ihr Blick folg­te nicht dem Weg, den die Jon­tar nahm, son­dern schweif­te hin­aus aufs Meer zu den Snai­fi­schern. Su­mal sah ih­nen zu und lä­chel­te.
     
    S
    chon vor Son­nen­auf­gang gab es viel zu ler­nen. Ei­ner von Su­mals Mann­schaft – Ra­vin wuss­te in­zwi­schen, dass es Chal­tar war – zeig­te ih­nen, wo die Taue und Ha­ken ver­staut la­gen und wie sie die Tau­en­den um die Rin­ge an der Re­ling kno­ten konn­ten. Nach ei­ni­gen an­stren­gen­den Stun­den be­herrsch­ten sie meh­re­re See­manns­kno­ten, konn­ten leid­lich mit dem Sei­ten­ru­der um­ge­hen und wuss­ten, wie man bei Sturm so schnell wie mög­lich die Se­gel reff­te.
    Ein­zig Mel Amie wei­ger­te sich an Deck zu kom­men. So gut es ging, hat­te sie den Be­helfs­stall aus­ge­stat­tet und mit al­ten Lei­nen­sä­cken ge­pols­tert, so­dass die Pfer­de sich auch bei ho­hem Wel­len­gang nicht ver­let­zen wür­den. Ganz be­son­ders küm­mer­te sie sich um das Hor­jun-Pferd, das schon ei­ni­ge Ma­le wild aus­ge­schla­gen hat­te, als es hör­te, wie die Wel­len ge­gen den Schiffs­rumpf leck­ten. Das Ban­ty stand mit ge­spitz­ten Oh­ren in sei­ner Box und starr­te ge­bannt auf das Mus­ter der Harz­pas­te, die sich durch die Zwi­schen­räu­me der Plan­ken ge­drückt hat­te. Ra­vin frag­te sich, wie lan­ge es dau­ern wür­de, bis das klei­ne Pferd nicht mehr von der fle­cki­gen, harz­ver­schmier­ten Wand zu un­ter­schei­den war. Nur die Re­gen­bo­gen­pfer­de wa­ren un­ge­rührt. Ent­spannt, mit auf­ge­stütz­ten Hin­ter­hu­fen, stan­den sie dö­send ne­ben­ein­an­der, als wä­re der ste­ti­ge Wel­len­schlag ein Schlaf­lied, an das sie schon ihr gan­zes Le­ben lang ge­wöhnt wa­ren.
    Die Jon­tar glitt über das Meer, schnel­ler und glat­ter, als sie es sich beim An­blick des bau­chi­gen Schif­fes vor­ge­stellt hat­ten. Zwei aus Su­mals Mann­schaft lenk­ten mit ge­schick­ter Hand die Se­gel. Mit dem Wind im Rücken se­gel­ten sie an der zer­klüf­te­ten Küs­te ent­lang. Ab und zu ge­rie­ten sie an den Rand ei­ner Strö­mung, die die Jon­tar ge­fähr­lich na­he an ei­ne Klip­pe zog. Doch nach den ers­ten Schreck­se­kun­den er­kann­te Ra­vin, wie ge­schickt der Steu­er­mann mit ei­nem Ge­gen­ru­der das Schiff aus dem Sog ma­nö­vrier­te und wie­der auf Kurs brach­te. In den ers­ten zwei Ta­gen ver­ur­sach­te ihm das sanf­te Schlin­gern und Stamp­fen des Schif­fes leich­te Übel­keit. Er frag­te sich, wie Mel Amie es in dem sti­cki­gen Schiffs­rumpf aus­hielt. Er fühl­te sich nur wohl, so­lan­ge er an Deck war, die Son­ne im Blick, die Klip­pen, die als end­lo­se stei­ner­ne Ket­te an ihm vor­bei­zo­gen, stän­dig an der Breit­sei­te des Schif­fes, bis es ihm so vor­kam, als wür­de die Jon­tar still­ste­hen und die Klip­pen an ih­nen vor­bei­wan­dern. Auf dem Deck des Schif­fes zu schla­fen fühl­te sich selt­sam an. Sie la­gen auf De­cken, das Ohr wie Lau­scher am Bo­den. Durch den schau­keln­den Bo­den glaub­te Ra­vin mit sei­nem gan­zen Kör­per das Flüs­tern von ge­wal­ti­gen Meer­naj zu hö­ren und, ganz weit un­ten, den schlin­gern­den Herz­schlag der See. In der Nacht stat­te­te ihm ein zit­tern­der Traum­fal­ter einen flüch­ti­gen Be­such ab, brach­te je­doch nur ver­schwom­me­ne Bil­der, die eher der Ver­gan­gen­heit als der Ge­gen­wart ent­sprun­gen zu sein schie­nen.
    Der Ta­ges­rhyth­mus der See­leu­te rich­te­te sich ganz nach dem Meer. Das Meer war In­halt ih­rer Ge­sprä­che, auf das Meer ach­te­ten sie al­le wie ein Hir­te auf sei­ne un­be­re­chen­ba­re Her­de, die ihm in

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