Im Bann des Fluchträgers
bereits geschlossen. Weder Darian noch Amina wiesen Mel Amie auf die Zeichnung des Seeungeheuers an der Tür hin, die im fahlen Licht der Nachtfackel leuchtete.
Der Hafen lag still, nur die Wellen murmelten im Schlaf.
»Du bist sicher, dass sie hierher kommt?«, flüsterte Mel Amie Ravin heiser zu. »Ich habe keine Lust, an Bord zu schwimmen.«
Ein kleineres bauchiges Schiff mit zwei Masten und hellen Segeln schob sich so lautlos heran, dass sie es erst bemerkten, als es plötzlich vor ihnen aus dem Dunkel auftauchte. Ravin ließ seinen Blick kurz darauf ruhen und suchte dann weiter den Horizont und den Hafen ab. Doch das Schiff hielt auf sie zu. Stumm sahen sie zu, wie es direkt vor ihnen anlegte. Ladro warf Ravin einen ratlosen Blick zu und zog die Brauen hoch. Sogar im Dunkeln sah man, wie schäbig das Schiff war. Die Planken waren mit verschiedenfarbigen Hölzern geflickt, der Rumpf mit pockigen Wasserschnecken übersät. Der stechende Geruch von Harzpaste drang ihnen in die Nase.
»Das ist nicht euer Ernst!«, zischte Mel Amie.
Bevor Ladro den Mund aufmachen konnte, öffnete sich im Bauch des Schiffes eine Luke. Lichtschein leckte mit schmaler Zunge über den Hafenboden. Mit einem Poltern landete das Ende einer Planke vor Ravins Füßen.
Sumal Baji musste sich bücken um auf den Steg treten zu können. Hinter ihr kletterten vier drahtige Seeleute an Land. Zwei weitere befanden sich auf dem Schiff beim Ruder. Alle hatten sie schwarzes, kurz geschnittenes Haar und waren in eng anliegende Tücher gehüllt. An ihren breiten Gürteln baumelten Seile, Haken und Krummklingen. In ihrer Mitte wirkte Sumal Baji noch größer.
Mit einem knappen Nicken grüßte sie Ladro und Ravin und blieb dann mit dem Blick an Darians Gesicht hängen. Ihr Lächeln ließ in ihrem Gesicht eine goldene Sonne aufgehen.
»Willkommen!«, sagte sie zu ihm. »Ich bin Sumal Baji Santalnik, eure Kapitänin. Das …« – sie deutete auf die Seeleute – »… sind Baiivan, Emrod, Chaltar, Quinn, Tij und Xia.«
Stolz schwang in ihrer Stimme mit, als sie den Arm hob und mit einer anmutigen Geste den Rumpf des Schiffes in der Luft nachfuhr.
»Und das ist die Jontar!«
Einige Augenblicke war Stille. Dann holte Mel Amie schnaubend Luft.
»Dieses Ding könntest du auch gleich Schwimmender Tod nennen, Kapitänin. Es fällt ja schon auseinander, wenn einer eurer brennenden Fische hustet!«
Sumal Bajis Gesicht blieb unbewegt, nur ihre Mundwinkel zuckten.
»Mir sagte man, ihr seid tapfer und die besten Kämpfer hoch zu Ross. Aber wenn ich es mir recht anschaue, ist eure Mähre dort kein Kampfpferd, sondern taugt bestenfalls als Reiseverpflegung. Und dennoch würde ich einer erfahrenen Kriegerin vertrauen, wenn sie mir sagte, dies sei ein gutes Pferd. Was mich allerdings noch mehr erstaunt …« – ihre Stimme wurde leiser, um dann pfeilspitz zuzustoßen – »… ist die Tatsache, dass eine tapfere Kriegerin aus dem Wald sich vor dem Husten eines Fisches fürchtet.«
Mel Amies Augen blitzten auf, sie öffnete den Mund, doch Ladro fasste nach ihrem Arm. Ravin konnte sehen, wie sich seine Finger in ihr Fleisch gruben. Sie holte mühsam Luft und schloss den Mund wieder. Ladro atmete kaum merklich auf.
»Ladet ab und bringt sie an Deck«, sagte Sumal zu ihren Seeleuten, dann drehte sie sich um und verschwand in der Luke.
Ravin würde nie vergessen, wie blass Mel Amie war, als sie mit gespielt gleichgültigem Gesichtsausdruck über die Planke ging, das zögernde Horjun-Pferd hinter sich herziehend. Auch ihm selbst war mulmig bei dem Gedanken, auf diesem winzigen Schiff die gefährliche Reise anzutreten.
Das Schiff legte so still ab, wie es gekommen war, und glitt gespensterhaft leise auf das Meer hinaus. Nur das Knarzen der Segel war zu hören.
Weitere Kostenlose Bücher