Im Bann des Fluchträgers
aus, als könnten Waldmenschen hier leben. Vielleicht ist Skaardja jetzt bei ihnen.«
Sie warteten das Echo der Gespenster nicht ab, sondern ritten den Talweg hinab. An einigen besonders steilen Stellen kam Vaju ins Rutschen. Es dämmerte bereits, als sie beim Bach ankamen. Ravin sattelte die Pferde ab und überprüfte die Satteltaschen. Ihre Vorräte gingen zu Ende, bald würde er wieder jagen müssen. Bei diesem Gedanken war ihm mulmig zumute, erinnerte er sich doch an die Geschichten von den ledermäuligen Pferden und den riesenhaften Ranjögs. Und wer wusste, was ihn noch in den Wäldern erwarten würde? Er holte sein Messer aus der Satteltasche und ging damit zum Bach, um ein Stück der Eisschicht aufzubrechen und frisches Wasser in ihre Trinkbeutel zu füllen. Gerade war er am Ufer niedergekniet, da entdeckte er neben sich, kauernd im Geäst des niedrigen Gebüschs, ein seltsames Kind. Die Augen weit aufgerissen starrte es auf Ravins Messer. Im nächsten Moment war es schon auf den Beinen, Ravin sah nur noch wehendes helles Haar, als es ihn ansprang, und er fühlte, wie ihm Fingernägel in das Gesicht fuhren. Er wich zurück und wand sich unter den Händen hervor. Mit einem Schlag hätte er den Angriff abwehren können, doch er machte sich reflexartig bewusst, dass er das Kind nicht verletzen wollte, und hielt es sich nur mit ein paar gezielten Griffen vom Leib.
»Darian!«, schrie er und setzte sich weiter zur Wehr. Das Kind gab nicht auf, es fauchte und machte ihm schwer zu schaffen. Wie Steinschlag prasselten die Fäuste auf Ravin herab. Ein Schlag traf ihn an der Nase, sodass er für einen Moment die Orientierung verlor. Blut rann ihm über die Lippe. Endlich vernahm er, wie Darian herbeistürzte, und fühlte, wie das Kind von ihm weggezogen wurde.
»Was ist hier passiert?«, hörte er ihn fragen, während er sich das Blut aus dem Gesicht wischte. Wütend stellte er fest, dass sein Messer fort war. »Es hat mich angegriffen«, sagte er. »Ich konnte es nicht mal richtig sehen, da ist es mir schon an die Kehle gegangen!«
»Wo kommt sie her?«
Ravin blickte überrascht auf und sah die Gestalt an, die im Schnee kauerte.
»Das ist gar kein Kind!«, rief er aus.
»Natürlich nicht«, erwiderte Darian.
Er kniete sich neben die Fremde in den Schnee und begann beruhigend auf sie einzureden. Sie reagierte nicht auf seine Worte, sondern starrte weiterhin Ravin an. Ravin schauderte beim Gedanken, dass ein fremdes Mädchen ihn offensichtlich hasste.
»Geh zu den Pferden«, sagte Darian. »Ich versuche sie inzwischen zu beruhigen.«
Ravin nickte und machte kehrt, froh, sich von dem Mädchen entfernen zu können. Verstört ging er zu Vaju und Dondo zurück, die ihn mit gespitzten Ohren erwarteten. Jetzt erst bemerkte er, dass er zitterte. Der Schreck saß ihm noch in den Gliedern, seine Nase blutete. Das Messer, überlegte er. Sie hat zuerst auf mein Messer gestarrt. Fürchtet sie sich davor?
Er wartete bis tief in die Nacht. Das Feuer loderte in der kalten Schneeluft. Die Hallgespenster kicherten und keiften, bis sie es letztlich aufgaben und sich in den Wald verzogen. Endlich sah er Darian und die Fremde den Pfad vom Fluss heraufkommen. Darian führte sie am Arm wie eine Blinde. Nun war sie ruhig, nur ihr Blick flackerte immer noch ruhelos und wild. Zum ersten Mal konnte Ravin sie richtig betrachten. Sie hatte große, dunkle Augen, die ihn zu der Annahme verleitet hatten, ein Kind vor sich zu haben. Ein Glimmen verlieh ihnen einen Ausdruck, den Ravin noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte und der ihm dennoch bekannt vorkam. Das schmale Gesicht war von langem flachsfarbenem Haar umrahmt, das zerzaust auf das lederne Gewand fiel. Darian setzte sich ans Feuer und bot ihr einen Platz an. Doch sie blieb
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