Im Bann des Fluchträgers
weitab vom Hauptweg und verfielen in vorsichtigen Trab, als sie in die Nähe eines Alschwaldes kamen. Atandros schlug vor, die Pferde zu verstecken und die letzten Schritte zum Wachbaum zu Fuß zu gehen.
Ravin knickten die Beine weg, als er sich vom Pferderücken gleiten ließ. Er hatte Mühe, die ersten Schritte zu machen ohne vor Erschöpfung umzufallen. Willenlos folgte er Atandros und der Königin durch das Unterholz, bis sie zum überwucherten Stamm eines Alschbaumes kamen, dessen Stamm so dick war, dass nicht einmal drei Männer ihn hätten umfassen können. In den Stamm waren Vorsprünge gehauen, die als Treppe dienten. Offenbar war sie schon lange nicht mehr benutzt worden, die Stufen waren rutschig, mehr als einmal glaubte Ravin, jeden Augenblick den Halt zu verlieren. Oben angekommen zog er sich auf die Plattform hinauf, sah sich um und musste blinzeln. Im Morgenrot erglühte unter ihm das Tjargtal. So weit sein Auge reichte, sah er Wald und hügelige Wiesen. Rechts unter ihm, in der Talsohle, entdeckte er winzige Zelte. Schwarze Horjun-Zelte, klein und verborgen, aber doch sichtbar. Und links, am Horizont, erhob sich Gislans Burg auf der Anhöhe. Ravin schluckte und musste wieder zwinkern. Doch das Bild, das sich ihm bot, ließ sich nicht vertreiben. Versuchshalber schloss er die Augen, aber als er sie wieder öffnete, sah er sie immer noch: rauchige, verkohlte Mauern. Auf den Zinnen standen Badoks Krieger. Ihre Mäntel wehten im Morgenwind.
Ravin stöhnte. Er nahm kaum wahr, wie die Königin und die Zauberer neben ihn traten. Die Stimme der Königin klang beherrscht, dennoch bebte sie. Ravin vermochte nicht zu sagen, ob es unterdrückte Wut oder Angst war, die er in ihrem Gesicht las.
»Die Burg ist bereits in der Hand der Horjun«, stellte sie fest.
Ravin sah das Entsetzen in Darians Augen, als er die geschwärzten Mauern der Burg betrachtete.
»Wie konnten sie so schnell bei der Burg sein und in das Burginnere gelangen?«, flüsterte er.
Ravin schüttelte nur mit einem hilflosen Schulterzucken den Kopf und blickte wieder zur Rauchsäule. Im Geiste sah er die Feuernymphen vor sich, die im Burghof die Ställe niederbrannten. Ob Naja sich auch in der Burg befand?
»Es ist mir ein Rätsel, wie sie an Laios und Jarog vorbeigekommen sind!«, sagte Atandros und runzelte die Stirn.
»Warum haben sie euch kein Zeichen gegeben?«, fragte Ravin.
Atandros’ Gesicht verdüsterte sich.
»Offenbar hatten sie keine Zeit mehr dafür«, murmelte er. »Wir hätten besser vorbereitet sein müssen.«
Ständig trafen Späher ein, die von neuen vorrückenden Truppen berichteten. Die Königin hatte sich mit Atandros und Darian zur Beratung zurückgezogen. Ravin saß mit Ladro und Mel Amie in einem Unterschlupf. Sie waren so erschöpft, dass sie nicht schlafen konnten.
»Fällt euch die Stille auf?«, fragte Mel Amie. Nervös spielte sie mit dem dünnen Lederseil, an dem sie ihre Schwerthülle befestigt hatte. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie in die Dunkelheit.
»Keine Hallgespenster«, sagte Ravin. »Am Schutzkreis liegt es nicht.«
»Nein. Ich wette, sie sind allesamt vor der Burg, bei Badoks Truppen.«
»Ja. Wenn sie nicht schon längst drin sind.«
»Du meinst, die Hallgespenster sind in die Burg eingedrungen? Wozu?« Mel Amie rieb sich über die müden Augen. »Um dort den Dienern nachzuplappern?«
Ravin lächelte matt und schüttelte den Kopf.
»Das Ganze hat etwas mit ihnen zu tun. Man müsste in die Burg gelangen.«
»Und sich umbringen lassen? Hast du die Wachen vor den Toren gesehen? Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit euren armen Shanjaar passiert ist.«
Ravin ließ sich ins nachtkalte Gras sinken und beobachtete die Sterne, die ihn an Feuernymphen und kleine magische
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