Im Bann des Fluchträgers
Fingern begann sich die Sonne mit den roten Strahlen zu drehen. Dunkler und dunkler wurde sie, bis sie schließlich zu grauem Stein erstarrte. Die Woran nahm Jolons Hand und bog seine Finger auseinander. Auf seiner Handfläche lag der Gor. Eis überzog knisternd die Hand der Woran, als sie ihn an sich nahm. Jolon seufzte und atmete aus.
Die Woran schien zu wachsen, ihr Haar sträubte sich und begann zu knistern wie ein Feuer, das durch einen frischen Luftzug genährt wird. Macht floss durch ihre Hände. Etwas Fremdes glühte in der Flamme ihrer Augen, gieriger und zerstörerischer als jedes Feuer. Sie sah Diolen an und gab ihm den Gor. Er nahm ihn und betrachtete ihn lange.
»Du hast gut gewählt«, sagte er und reichte ihr die Hand, wie er es bei Sella getan hatte. Doch die Woran ergriff seine Hand nicht, sondern trat zu ihm und lächelte.
»Noch bin ich nicht, was ich sein werde, Diolen. Noch sind meine Hände keine Klauen und mein Gesicht nicht schattenschwarz und furchtbar. Willst du deine Braut nicht küssen?«
Er zögerte kurz, doch dann legte er seinen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sie lächelte ihm zu und legte mit zärtlicher Geste ihre Hände an seine Schläfen.
»Und dies«, flüsterte sie, »ist für Sella!«
Erstaunen kroch über Diolens Züge, dann Erkenntnis –und dann der Schmerz. Langsam, ganz langsam öffnete er den Mund. Sturm brüllte über den Burghof. Die Erloschenen begannen zu taumeln. Ravin spürte, wie der Griff an seinen Armen sich lockerte und sich schließlich ganz auflöste. Das Pfeifen des Windes vermischte sich mit Diolens Gurgeln, das sich zu einem grauenvollen schrillen Schreien steigerte. Speichel floss ihm aus dem Mund, seine Hände tasteten nach Aminas Händen, die immer noch unerbittlich gegen seine Schläfen pressten. Blut rann darunter hervor. Er riss an ihren Armen, doch sie hielt ihn mit Klauen aus Eisen. Das Schreien wurde zu einem Kreischen, das Ravin die Panik durch die A dern jagte. Er hielt sich die Ohren zu und krümmte sich im Sturmwind.
Endlich sank Diolen in die Knie. Durchsichtiger wurden die Erloschenen, ihre Mäntel und Schwerter fielen von ihnen ab, zurück blieben rote Augen – und die dunklen Umrisse und wabernden Nebel der Hallgespenster. Mit einem Mal verstand Ravin, wer die Erloschenen waren. Sie kamen nicht aus dem Land Run, nein, Jarog hatte einen Zauber gefunden, die Hallgespenster in die Welt der Lebenden zurückzurufen. Angst presste ihm die Luft aus den Lungen. Doch die Hallgespenster beachteten ihn nicht. Sie richteten ihre Blicke auf Diolen. Aus den sichelförmigen Wunden an seinen Schläfen sickerte Blut.
»Bitte!«, flüsterte er. Zitternd stolperte er rückwärts, Todesangst in den Augen. Unerbittlich wie ein schwarzer Nebel krochen die Gespenster auf ihn zu. Einen magischen Moment verharrten sie, dann hob Amina ihre Hand mit den glühenden Monden und gab ihnen die Erlaubnis. Diolen kam keuchend auf die Füße und floh zu den Bäumen. Das Letzte, was Ravin von ihm sah, war sein Silbermantel, der in dem Wirbel aus brodelnden Schattenleibern aufblitzte und verschwand.
So schnell er konnte, kroch Ravin zu Darian und löste seine Fesseln. Sie klammerten sich aneinander, umgeben vom Toben und Kreischen des Sturms und dem gierigen Geheul der Hallgespenster. Erst als der Wind sich gelegt hatte und der letzte Schrei verhallt war, wagten sie aufzublicken. Der Hof war leer. Alles, was von Diolen geblieben war, waren Blut und Silberfäden von seinem Mantel, die an der rauen Rinde eines Jalabaumes hingen. Amina betrachtete mit erstaunten Woranaugen ihre Hände.
»Sieh nur, es sind immer noch meine Hände«, sagte sie zu Ravin. »Ich dachte, sie würden sich in Klauen verwandeln.«
Sie bückte sich und hob wie in Trance
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