Im Bann des Fluchträgers
den Gor vom Boden auf.
Jolon atmete nicht mehr.
»Lass uns nachdenken«, sagte Darian, doch seine Stimme klang ebenso jämmerlich und voller Panik, wie Ravin sich fühlte. Er legte den Kopf auf Jolons Brust und suchte nach einem Herzschlag. Leere antwortete ihm.
»Tu etwas!«, schrie er Darian an. »Du bist ein Shanjaar!«
Darian rieb sich die Augen. »Es gab einen Zauber, Laios wusste, wie man Tote dazu bringt, an der lichten Grenze zu warten. Nur so lange, bis wir etwas gefunden haben!«
»Dann sprich den Zauber!«
»Ich kenne ihn nicht!«, schrie Darian zurück. Er zitterte am ganzen Körper. Aminas Schatten verdunkelte das Licht und fiel über Jolons Körper, ihr Haar wand sich vor dem Nachthimmel wie schwarze Wasserpflanzen in einem nachtblauen See.
»Ich dachte, meine Kraft würde ausreichen«, sagte sie leise. »Es tut mir Leid, Ravin. Diolen musste den Stein in der Hand haben, damit sich die Kräfte des Gor gegen ihn selbst richten konnten. Es war meine einzige Möglichkeit.«
Der Klang ihrer Stimme war so vertraut wie ihre Worte fremd.
»Lass uns überlegen«, beharrte Darian. »Was hätte Laios getan?«
»Laios ist tot! Du musst etwas tun!«, schrie Ravin. Hektisch suchte er unter seinem Mantel. Irgendetwas musste er finden, was ihm helfen würde. Seine Finger umschlossen einen mit Blut verkrusteten Gegenstand. Er zog ihn heraus. Es war Skaardjas Geschenk, das er Laios hätte geben sollen. Beinahe hätte er gelacht.
»Da!«, sagte er und streckte Darian die Phiole hin. »Lass dir etwas einfallen!«
Ein verzerrtes Lächeln breitete sich über Darians Gesicht.
»Das ist Skariswurzel, Ravin. Es hilft gegen die rote Wut und gegen Zahnschmerzen, nicht gegen den Tod!«
»Dann verwandle es in etwas, was Jolon hilft!«
»Ravin hat Recht«, sagte Amina. »Du bist ein Shanjaar.«
Darian stutzte, dann strich er sich müde über die Stirn.
»Nun, zumindest kann es keinen Schaden mehr anrichten«, sagte er.
Er schloss die Augen und murmelte ein paar Worte, dann zog er den Kristallverschluss aus der Phiole. Der schwache Duft nach Salz und Skariswurzel wehte ihnen entgegen. Darian zuckte die Schultern, dann hielt er die Flasche über Jolons Gesicht – die wenigen Tropfen fielen auf die geschlossenen Augen.
Jolon holte Luft und blinzelte.
Darian schrie auf und sprang auf die Beine.
»Amina?«, flüsterte Jolon.
Erstaunt sahen Ravin und Darian, wie sich Amina an Jolons Lager kniete und die beiden sich umarmten. Ravin spürte, wie seine Knie weich wurden und der Boden zu schwanken begann, als würde er wieder auf den Planken der Jontar stehen. Was ging hier vor? Langsam löste sich Amina aus Jolons Umarmung und lächelte.
»Hier ist mein Bruder, Ravin!«, sagte sie. »Zumindest ist er in den vergangenen Monden einer für mich geworden.«
Jolon setzte sich auf, mühsam und schwach nach der langen Zeit, die er liegend verbracht hatte.
»Ravin!«, rief er und streckte seine Arme aus. Ravin drückte ihn an sich. Trotz seiner Verwirrung spürte er, wie endlich, endlich der eisige Stein, der so lange auf seiner Seele gelegen hatte, zerfloss und Erleichterung und Freude an seine Stelle ließ.
»Jolon«, flüsterte er. »Ich dachte, du wärst tot.«
Jolon lächelte.
»Amina hat über mich gewacht und mich am Leben erhalten. Viele Monde lang.«
Ravin war wie betäubt. Unendlich mühsam klaubte er die Scherben seiner Gedanken zusammen und versuchte sie zu einem neuen Bild zusammenzufügen.
»Dann war sie die dunkle Gestalt, die in meinen Träumen hinter dir stand?«
»Ich dachte, es wäre Laios«, warf Darian ein. »Aber wie kommt der Gor ins Tjärgland?«
»Das Lied«, sagte Ravin. »Amina hat das Lied gesungen, das ich von den Hallgespenstern gehört habe.«
Amina nickte.
»Es ist ein Woranzauber, den
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