Im Bann des Fluchträgers
spöttisch.
»Du bist nicht mehr das, was du warst«, fuhr Diolen fort. »Aber noch bist du nicht, was du sein wirst, Amina.«
Ravin glaubte ein Flackern in ihren Augen zu sehen, einen Funken des Zweifels.
»Amina! Hör nicht auf ihn!«, schrie er, doch der Erloschene hinter ihm drückte ihm seine stinkende Pranke auf den Mund, sodass er fast erstickte. Es roch nach Tod und altem Staub.
Amina hatte auf seinen Ruf nicht reagiert, vielleicht hatte sie ihn nicht einmal wahrgenommen.
»Zu einem gewissen Teil kannst du dich noch entscheiden, Amina«, flüsterte Diolen. »Macht ist alles, was dir bleiben wird. Sieh deine Hände an.«
Sie senkte den flammenden Blick und betrachtete ihre Finger und Handflächen. Blauschwarz waren sie, wie Vogelklauen.
»Es wird nicht mehr lange dauern, da wird dein Gesicht noch viel grauenhafter aussehen. Du wirst zu einem Gespenst der Nacht. Einsam wirst du in den Bergen hausen.« Lächelnd trat er zu ihr und blickte ihr in die Augen. »Du glaubst, ich habe deine Mutter getötet, weil ich grausam bin«, flüsterte er. »Aber du irrst dich. Aus Einsamkeit hat sie um den Tod gefleht. Eine Einsamkeit, die dunkler, tiefer und unendlich schmerzlicher ist als der schlimmste Tod.«
Ravin glaubte wahrzunehmen, wie Amina bei diesen Worten zusammenzuckte.
Diolens Stimme wurde leise und beschwörend.
»Ich verstehe deinen Schmerz, Amina. Auch mein Vater wurde getötet. Und nun bin ich wie du: einsam und mächtig. Doch gemeinsam können wir ganz Skaris beherrschen – und alle Länder, die von Dantar über Tjärg bis weit hinter die Steppen von Fiorin reichen! Du wirst Königin sein, eine grausame und Furcht erregende Königin – an meiner Seite, Amina. Niemand kann die Einsamkeit von dir nehmen. Nur ich.«
Sie schien zu schwanken, ihr Blick wurde ruhiger. Sehnsucht nach Macht flackerte darin. In diesem Moment, so wurde Ravin bewusst, waren Diolen und Amina völlig gleich. Beide dunkel, beide mächtig. Ein Königspaar, dafür geschaffen, zu herrschen und Schrecken und Krieg über das Land zu bringen. Amina hatte die Grenze überschritten. Ravin wandte sich ab, weil er diesen Anblick nicht mehr ertrug.
»Gib mir den Stein«, sagte Diolen zu Amina.
Wärme breitete sich über Ravins Handgelenke aus, dann fielen die Fesseln von ihm ab. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Darians magisches Licht in die Dunkelheit davonhuschte. Gleichzeitig ruckelte ein Schwert, das an einen Baumstamm gelehnt war, und rutschte durch das Gras in Ravins Reichweite. Er hielt den Atem an, spannte die Muskeln um es an sich zu reißen, da traf ihn Aminas Blick.
Für den Bruchteil eines Moments sah er Amina, die er im Jerrik-Wald kennen gelernt hatte. Amina, die lachte und auf dem Fischerfest tanzte und glücklich war. Das Schwert lag nun direkt vor ihm, er konnte Darians Gedanken spüren: Nimm es, Ravin! Töte Diolen! Doch Ravin wusste, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Der Erloschene, der neben ihm stand, entdeckte das Schwert. Starke Arme griffen nach Ravin und drückten ihn grob zu Boden. Darian stöhnte. Der Schatten senkte sich wieder über das Gesicht der Woran. Sie wandte den Kopf ab und begann zu singen:
»Tellid akjed nag asar
Kinj kar Akh elen balar
Kinju teen
Kinju teen
Skell asar, balan tarjeen!«
»Nein, Amina!« Der Schrei klang so verzerrt und fremd, dass Ravin nicht bewusst wurde, dass er es war, der geschrien hatte. Der Erloschene, in dessen Hand er gebissen hatte, fluchte und hieb mit der Faust auf Ravins Wunde. Der Schmerz nahm ihm den Atem. Tränen rannen ihm über die Wangen und tropften auf den Burghof. Du hast deinen Bruder getötet, kreischte es in seinem Kopf. Weil du einer Woran vertraut hast!
Rötlicher Schein breitete sich über Jolons Hand, die den Kristall immer noch fest umschlossen hielt. Zwischen seinen
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