Im Bann des Fluchträgers
schnürte sie ruckartig mit einem Seil zusammen.
»Aufstehen!«, befahl Darians Peiniger und gab ihm einen wohlgezielten Tritt in den Oberschenkel. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam Darian auf die Beine.
»Du hast deinen Bruder schon lange nicht mehr gesehen, nicht wahr?«, zischte die Stimme neben Ravins Ohr.
»Was habt ihr mit ihm gemacht?«, schrie Ravin.
Der Erloschene lachte.
»Sieh es dir selbst an, Waldkröte!«
Grob wurden sie durch das Tor gestoßen. Der Hof war zerfallen, nur wenige Mauerreste ließen die alte Pracht erahnen, an den meisten Stellen jedoch wucherte bereits seit ewigen Zeiten der Wald. Ravin hatte erwartet, im Burghof sein Lager versammelt zu sehen. Stattdessen sah er sich einem Kreis von Erloschenen gegenüber. Kein einziger Horjun war darunter. Mitten im Hof stand Diolens Pferd. Dunkel vor Schweiß war es, die Brust übersät mit Schlammspritzern. Hinter ihm drängten sich die Erloschenen wie eine schwarze Mauer, die sich teilte, als Ravin und Darian hindurchgestoßen wurden. In der Mitte tat sich ein freier Platz auf.
Dort lag Jolon.
Tränen liefen Ravin über das Gesicht, ohne dass er es verhindern konnte. Da war sein Bruder, so wie er ihn verlassen hatte, mit der hohen Stirn und der Narbe an der Schläfe, die von Ravins unglücklichem Schleuderwurf stammte. Nur hagerer war er, das blasse Gesicht gequält, umfangen von einem schlimmen Traum, der Wirklichkeit geworden war.
»Unser Ehrengast ist angekommen.« Diolens Mund verzog sich zu seinem liebenswürdigen Lächeln. Blind vor Wut stemmte sich Ravin gegen die Fesseln, doch die Erloschenen lachten nur.
»Mörder!«, schrie Ravin. »Du wirst sterben! Für jeden einzelnen Mord wirst du sterben!«
»Nun«, meinte Diolen. »Dann kommt es ja auf einen nicht an – oder wenn ich euch mit einrechne, auf zwei oder drei.«
Er trat zu Jolons Lager.
»Deinen Bruder werde ich als Ersten töten müssen. Ich habe versucht den Stein aus seiner Hand zu nehmen, doch er gibt ihn einfach nicht frei. Da seid ihr Brüder euch ähnlich.« Er zuckte die Schultern. »Natürlich könnte ich ihm auch die Hand abschneiden.« Zufrieden beobachtete er, wie sich Ravins Gesicht vor Schmerz verzerrte, während er sich zu befreien versuchte.
»Aber«, fuhr er dann fort, »grausam bin ich nun wirklich nicht.«
Er lächelte, hob sein Schwert und zielte in aller Ruhe auf Jolons Kehle.
»Jolon!«, schrie Ravin. »Verdammt noch mal, wach auf!«
Mit aller Kraft trat er nach dem Erloschenen, doch er erreichte nur, dass seine Wunde aufbrach und Blut seinen Ärmel tränkte. Diolens Schwert blitzte auf.
Dann erlosch der Mond.
Alschblätter wirbelten im Sturmwind. Dunkle Hände fassten nach Diolens Schwert. Die Gestalt stand im Licht der Fackel, dennoch kauerte dort, wo sie war, Dunkelheit wie ein schwarzes Tier, bereit zum Sprung. Der Schatten lag auf dem grausamen Gesicht, in dem die blauen Augen glühten wie das Herz einer Kerzenflamme. Als sie Ravins Blick begegneten, schien ihm, als würden sie seine Seele verbrennen. Kein Ausdruck war darin erkennbar, kein Wiedererkennen.
Diolen lächelte und senkte das Schwert.
»Ich wusste, du würdest da sein«, sagte er. »Wie oft habe ich von dir geträumt.«
»Und ich von dir«, sagte die Woran mit dumpfer Stimme und lächelte wie Amina. »Und im Traum kam die Zukunft zu mir und sagte: Jolon wird nicht sterben. Nicht durch deine Hand. Eher sterben viele deiner Männer.«
Diolen trat einen Schritt zurück. Hoffnung loderte jäh in Ravins Herz auf. Sprach dort vielleicht doch Amina?
Diolen lachte.
»Was kümmern mich meine Männer?«, rief er schließlich. »Töte so viele du willst, vielleicht sogar mich. Aber was nützt es dir, wenn du am Ende doch besiegt bist? Und das bist du. Nicht von mir, nein, von der Dunkelheit.«
Die Woran lächelte
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