Im Bann des Fluchträgers
sich. Das Pferd stand wie festgeschmiedet und wartete auf die Befehle seines Herrn. Das Gesicht des Reiters war so ruhig und kühl wie Eisen. Langes, dunkles Haar floss ihm über die Schultern. Seine Lippen waren voll und schön geschwungen, seine Augen grau. Er war jung, stellte Ravin fest, kaum älter als Ladro – und doch schien ihn das Alter zu umgeben wie die Stille des Todes. Er ließ sich Zeit. Seine Augen ruhten auf Sella, er lächelte ein Lächeln, das einen Schauder über Ravins Rücken schickte.
»Sella!«, sagte er mit einer Stimme, die sich auf Ravins Hals legte wie die sanfte Pfote einer Martiskatze, die ihre Krallen noch verborgen hielt. »Was macht meine traurige Braut denn hier?«
Es ist Diolen, schoss es Ravin durch den Kopf, während er endlich zum Schwert des gefallenen Kriegers griff und auf die Beine sprang.
Der Reiter lachte. Sein Pferd erwachte aus seiner Ruhe und tänzelte. Alle Muskeln spannten sich. Dann preschte es los, die schweren Hufe pflügten den Boden.
Dicht an Ravins Ohr kreischten Stimmen, doch er stellte sich vor Sella und riss das Schwert hoch. Sella hob die Hände über den Kopf, als die Klinge des Kriegers niedersauste. Ravin gelang es, den Hieb zu parieren, aber die Wucht des Aufpralls zwang ihn in die Knie. Diolen hob sein Schwert und lachte.
»Dein Beschützer?«, fragte er spöttisch. Pferd und Reiter begannen Ravin zu umkreisen. Er machte die Drehung mit, wobei er gleichzeitig versuchte Sella hinter sich zu drängen. Diolen grinste höhnisch.
»Ich sterbe, Darian!« Das war seine eigene Stimme.
»Sella, lauf!«, schrie er, dann bäumte das Pferd sich vor ihm auf. »Lauf!«, schrie er wieder und trieb Diolen noch einmal mit eisern Schwerthieb zurück. Der silberne Umhang wirbelte vor ihm herum, ein Hufeisen blitzte auf. Den Stoß spürte Ravin kaum, bevor er in einem Strudel versank, der ihn in einen grellen See aus Feuer zog. Alles brannte.
Dann brannte es nicht mehr und es war still. Vorsichtig blinzelte er. Sein Bruder beugte sich über ihn. »Jolon!«, rief Ravin und versuchte sich aufzusetzen. Tränen stiegen ihm in die Augen. »Du bist aufgewacht«, flüsterte er. »Und ich dachte, du würdest schlafen.« Jolon antwortete nicht. »Ich hatte diesen Traum«, fuhr Ravin fort. »Wir kämpften gegen Krieger, die erloschene Augen hatten und tausend Stimmen. Mir träumte, einer davon hätte mich getötet.« Jolons Lächeln war schmerzlicher geworden. Er sah Ravin lange an, dann schüttelte er den Kopf. Ravin ließ sich getröstet wieder auf den Waldboden zurücksinken. Jolon legte ihm seine kühle Hand auf die Augen und es wurde dunkel.
E
s war still. Ich bin bei Jolon, dachte Ravin. Oder habe ich doch gekämpft? Vorsichtig öffnete er die Augen. Der Himmel über ihm wurde dunkel, schon lange zuvor war die Sonne untergegangen. Jeder Herzschlag schickte eine Welle von Schmerz vom Genick in die Schläfen. Nicht weit von ihm lag ein zerbrochenes Schwert im zertrampelten Gras und etwas weiter ein Badok-Krieger. Ein Pfeil steckte in seiner Seite. Ravins Magen krampfte sich zusammen, er wandte sich ab, kam zitternd auf die Beine und taumelte zum Unterholz. Wo waren die anderen? Aus der Ferne erkannte er einige Krieger, die auf der Lichtung lagen, offensichtlich waren sie tot. Es gab ihm einen Stich bei dem Gedanken, hinzugehen und vielleicht Darian zu finden.
»Ravin?«, flüsterte eine Stimme hinter ihm. Er brauchte einen Moment um zu begreifen, dass es kein Hallgespenst war, sondern Amina.
»Ravin!« Blut und Schmutz verklebten ihr Gesicht. »Du lebst! Ich dachte … Ich hätte schwören können, dass du tot bist!«
Ravin konnte nicht antworten, konnte nicht nach Darian und den anderen fragen. Seine Kehle fühlte sich an, als würde er nie wieder ein Wort sagen können.
»Komm«,
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