Im Bann des Fluchträgers
ihnen gehört. Mach doch den Mund auf, stummer Bergmensch! Wer hat es dir er zählt?«
»Niemand«, stotterte Ravin. »Ich habe ganz zufällig …«
»Ganz zufällig gelauscht?« Ruk grinste. »Warum nicht. Angeblich sind keine Gefangenen aus dem besiegten Land dabei. Sagt man. Aber ich glaube ihnen nicht.«
Ravin starrte düster vor sich hin. Von fern hörte er Schritte und nahm noch einmal seinen Mut zusammen.
»Wo ist die Rote Halle?«, fragte er leise.
Ruk blickte sich um, dann als er sicher war, beugte er sich zu ihm. »Du bist gar nicht so dumm, wie du tust, Galo, nicht wahr? Die Halle ist drei Treppen unter uns, sieh …«
Er nahm sein Messer und kratzte den Grundriss der Burg in die Steinplatte auf dem Boden.
»Hier sind die Hallen, siehst du? Zwei Hallen auf jeder Ebene. Wir sind ganz oben, zwei Treppen weiter unten sind die Gemächer für Gäste und die Halle, in der sich Abgesandte oder Reisende zum Gespräch treffen. Darunter beginnt der wirklich prächtige Teil der Burg. Kein Vergleich zu diesem Stall hier. Da ist die Rote Halle, ganz aus Marjulaholz geschnitzt. Diese Bäume wachsen dort, wo es wärmer ist, am Meer. Ich habe noch nie einen Marjulabaum gesehen, du? Na, egal. Das war früher die Halle der Gesänge. Heute sagt man, schmieden Badok und Diolen dort ihre Pläne.«
»Und weiter unten?«
Die ersten Reiter kamen zu ihren Lagern. Auf jeder Bettstatt lag ein Stück Brot und etwas Trockenfleisch. Ruk blickte sich um, als wollte er nicht ertappt werden.
»Unter der Roten Halle?«, murmelte er, während er seine Zeichnung mit dem Stiefel verwischte. »Da sind nur noch die Gefängnisse.«
Ravin schluckte. Ruk zwinkerte ihm zu und ging zu seinem Lager. Als er sicher war, dass keiner sein verweintes Gesicht sehen würde, nahm Ravin seinen Lederhelm ab und legte sich auf seine Schlafmatte. Ungeduld zerrte an seinem Herzen und ließ es unregelmäßig und schnell schlagen. Im Geiste begann er einen Grundriss der Burg zu zeichnen. Er musste bis ganz nach unten gelangen. Was hatte Bor gesagt: »In einigen Tagen werdet ihr unserem Herrn gegenübertreten und schwören.« Vermutlich würde die Zeremonie also in der Roten Halle stattfinden. So konnte er unauffällig die drei Treppen bewältigen. Ungeduld durchpulste ihn, doch er krallte seine Finger in die Matte und zwang sich ruhig zu sein.
Er war überzeugt nie wieder schlafen zu können, dennoch musste er eingeschlafen sein. Eine schwarze Gestalt trat im Traum neben Ravin in den Feuerschein und ging auf Jolon zu. Jolon streckte die Hand nach ihr aus und lächelte. Dämonische Augen blickten aus dem Feuer – und irgendwo zwischen den Flammen blitzte Najas Lächeln auf. Ravin wandte sich um und sah Laios. Ravin erschien er viel jünger und weniger gebeugt, als er ihn in Erinnerung hatte. Mit der Hand griff er in den Nachthimmel und pflückte den Sichelmond vom Himmel. »Fang!«, rief er und warf den Mond Ravin zu. Erschrocken streckte er die Hände aus um ihn zu fangen, doch eine Spitze durchbohrte seine Hand. Er schrie auf, nicht vor Schmerz, sondern überrascht vom Anblick des Blutes. Mit ihm schien seine ganze Ungeduld wie Gift aus seinem Körper zu fließen. Er wurde ruhig und schläfrig. Jolon lächelte ihm zu.
Ravin erwachte von einer tiefen Ruhe erfüllt, wenige Augenblicke, bevor Bor in der Tür erschien um die Horjun zu den Kampfübungen zu rufen. Wie die anderen Horjun warf er sich sofort den schwarzen Mantel über und folgte Bor zu den Reithallen.
Drei Tage übten sie unermüdlich.
»Gut, Galo!«, rief Amgar jedes Mal, wenn Ravin ein Kunststück, etwa das Hängen unter dem Bauch seines Pferdes in vollem Galopp, gut gemeistert hatte. Ravin schaffte es, sich von den Pferdeställen fern zu halten. Mit etwas Verhandlungsgeschick gelang
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