Im Bann des Fluchträgers
großen Stücken Treibholz und noch mehr geschnittenen Buschstämmen zurück. Bis spät in die Nacht arbeiteten sie an dem Floß, bis es schließlich groß genug schien, um die Sättel, die Vorräte und ihre Schwerter zu tragen. Als der Mond bereits am Himmel stand, legten sie sich erschöpft auf das Floß.
Vaju und Dondo wateten im Flusswasser auf und ab. Ravin hörte sie und glaubte sogar die Erschütterungen ihrer Schritte im Ufergestein zu spüren. Ein Plätschern und ein leises Wiehern drang an sein Ohr. Er blickte hinüber zum Wasser und sah die leuchtenden Leiber der Regenbogenpferde. Doch da war noch etwas. Ein Glitzern von Wassertropfen, die im Mondlicht funkelten.
»He!«, rief der Naj leise. »Ich sehe, dass du wach bist. Deine Augen leuchten wie zwei Mondfische. Komm her!«
Einen Moment überlegte Ravin, ob er Darian wecken sollte, dann stand er leise auf und ging zum Fluss. Der Naj hatte sich halb aus dem Wasser erhoben, seine Finger berührten Vajus Mähne. Ravin wollte am Ufer stehen bleiben, doch der Naj winkte ihn heran.
»Hast du immer noch Angst?«, spottete er. »Komm, komm her!«
Vaju schüttelte eine glitzernde Tropfenkaskade aus ihrer Mähne. Zögernd watete Ravin ins Wasser. Ihm war mulmig zumute, so dicht neben dem Naj im Wasser zu stehen. In Sichtweite gähnte die schwarze Kluft in der Flussmitte. Doch der Naj hatte sich wieder den Pferden zugewandt. Dondo rieb den Kopf an seinem schuppigen Rücken. Ravin staunte über die Vertrautheit dieser Geste. Die drei sehen aus, als würden sie ein Gespräch führen, wie alte Freunde, die sich lange nicht gesehen haben, dachte Ravin. Oder vielleicht auch wie Liebende.
»Wie nennt man sie in eurer Sprache?«, fragte der Naj.
»Tjärgpferde.«
»Das passt zu euch. Ein Wort, so trocken wie ein Mund voll Staub.«
Der Naj schöpfte eine Hand voll Flusswasser und ließ es über Vajus Stirn laufen. Sie schloss genießerisch die Augen und schnaubte.
»Willst du wissen, wie wir sie nennen?«
Der Naj gluckste, dann stieß er einen Laut aus, der wie ein Quietschen und ein Trillern gleichzeitig klang. Ravin glaubte ein Wort herauszuhören.
»Jina?«
»So wie du es aussprichst, klingt es wie eine Beleidigung. Deine Zunge, dein Gaumen sind einfach zu plump! Ja, sie heißen Jina. In unserer Sprache bedeutet das: ›Flinke tanzende Wellen mit Mähnen aus Schaum.‹«
Ravin lachte.
»Ein einziges Wort für solch eine lange Beschreibung. Eure Sprache ist wirklich so kompliziert, wie Darian erzählt hat.«
»Nein«, sagte der Naj. »Es verhält sich genau umgekehrt. Eure Sprache ist so einfach, weil sie keine Ewigkeit hat.«
Prüfend musterten sie sich. Ravin hatte das Gefühl, dass der Naj sich nicht entscheiden konnte, ob er noch weiter mit ihm reden sollte. Vaju drehte sich um und trottete zu Ravin. Der Naj beobachtete sie.
»Nun, Sprache hin oder her – die Jina mögen dich und deinen unhöflichen Freund. Ich habe euch sehr lange beobachtet. Ihr wart nie unfreundlich zu den Jina, ihr habt sie beschützt – zumindest solange ihr in der Nähe des Wassers wart. Du passt auf etwas auf, was zu uns gehört, und wir passen auf etwas auf, was euch gehört. Und deshalb gebe ich dir jetzt etwas zurück, das du dem Wasser geschenkt hast.«
Eine Klinge blitzte im Mondlicht auf.
»Mein Messer!«
Ravin starrte atemlos auf die gebogene Klinge und den geschnitzten Griff. Das Messer musste tief, sehr tief im Wasser gelegen haben, denn es war kalt wie Eis.
»Ich habe es vor vielen Monden verloren – an einem Bach, noch bevor wir in Jerriks Wald geritten sind!«
»Ich weiß«, sagte der Naj kühl. »Und dir allein würde ich es niemals zurückgeben. Nur für die Jina. Falls du es brauchst um sie zu schützen.«
»Dann bist du uns bereits vor dem Wald begegnet? Du warst es, den ich gesehen habe an dem
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