Im Bann des Highlanders
erkundigte sich Iain, nachdem er Joans Hände wieder auf den Rücken gefesselt hatte. »Meine Freunde sagen, sie haben dich aus einer alten Tierfalle gezogen.«
Sie bejahte. »Ich habe mir beim Sturz wohl den Knöchel verstaucht. Daher bitte ich dich, mich zu einem Arzt zu bringen.«
»Hier gibt es keine Ärzte«, gab er gleichmütig zurück. »Dir wird nichts anderes übrig bleiben als zu hoffen, dass die Schwellung von alleine zurückgeht.« Er zögerte einen Augenblick, dann setzte er etwas schärfer hinzu: »Aber vielleicht brauchst du dir darüber keine Gedanken mehr zu machen.«
Joans Herz schien einen Schlag auszusetzen, der Schotte sah plötzlich genauso hart und unnachgiebig aus wie seine merkwürdigen Kumpane.
Der restliche Tag verrann ohne weitere Vorkommnisse. Die Männer lungerten auf der Lichtung herum, einige lagen in der Sonne und schnarchten; doch die lockere Atmosphäre täuschte nicht darüber hinweg, dass Joan misstrauisch beobachtet wurde.
Bald taten ihr die Glieder weh, und sie versuchte, ihre Sitzhaltung zu verändern, was ihr jedoch in dem gefesselten Zustand, in dem sie sich befand, nicht glücken wollte.
Als die Sonne unterging, trat Iain zu ihr, und das mittägliche Ritual wiederholte sich; diesmal bekam sie allerdings nur einen knochenharten Kanten Brot und Wasser aus einem grob geschnitzten Holzbecher. Wenigstens war das Wasser sauber. Iain erklärte, dass sich ganz in der Nähe ein Bach befand, aus dem sich die seltsame Gruppe bediente.
Joan fragte sich im Stillen, weshalb niemand der Männer auf die Idee kam, diesen Bach zum Waschen von Körper und Kleidung zu benutzen. Sie würgte das Brot herunter, dann wurden ihr erneut die Hände gefesselt, und als die Nacht hereinbrach, verkrochen sich die Männer nacheinander in ihre Unterschlüpfe – nur einer von ihnen blieb neben dem inzwischen niedergebrannten Lagerfeuer sitzen, blickte in regelmäßigen Abständen zu der Gefangenen hinüber und ließ auch nicht den Wald ringsherum aus.
Obwohl Joan müde und erschöpft war, fand sie keine Ruhe. Es war für sie unverständlich, weshalb man noch nicht nach ihr suchte, und sie hoffte inständig, dass wenigstens am nächsten Tag ein Hubschrauber das unwegsame Waldgebiet überfliegen würde und sie aus den Klauen der verrückten Waldmenschen befreite.
Irgendwann nickte Joan ein, doch an einen festen Schlaf war schon angesichts der unbequemen Lage nicht zu denken. In ihren wachen Phasen zerbrach sie sich den Kopf darüber, was diese Männer vorhatten und vor allem, warum sie überhaupt etwas mit ihr vorhatten. Ärgerlich darüber, dass man sie in der Pension nicht vor den Gefahren in den Wäldern gewarnt hatte, nahm sich Joan vor, später Anzeige zu erstatten, denn diese zerlumpten Gestalten mussten doch schon anderen Touristen aufgefallen sein.
In England säßen solche Irren längst im Gefängnis oder in der Klapsmühle, im benachbarten Schottland schienen hingegen ganz andere Gesetze zu herrschen.
Als es zu dämmern begann und die ersten Vögel zaghaft ihr Morgenkonzert anstimmten, konnte Joan kaum noch sitzen; sie hoffte, dass sich Iain, mit dem sie sich wenigstens verständigen konnte, sich wieder ihrer annahm.
Tatsächlich brachte er Joan, nachdem die Sonne aufgegangen war, ein Stück hartes Brot, das sie gierig hinunterschlang, nachdem sie von ihren Handfesseln befreit worden war. Iain ließ sie dabei nicht aus den Augen, musterte sie kritisch und mit einem Anflug von Interesse.
»Warum starren Sie mich so an?«, entfuhr es ihr. »Ich würde gerne wissen, wie lange ich noch wie ein verschnürtes Paket hier sitzen soll.«
Iain ließ sich neben ihr in das Gras fallen, dann zuckte er mit den Schultern und wies mit dem Kinn auf die anderen Männer. »Das kommt darauf an, wie sich meine Freunde entscheiden.«
»Tatsächlich?« Joans Stimme klang ironisch. »Und um welche Entscheidung geht es dabei, wenn ich fragen darf?«
Der Schotte ließ sich mit der Antwort Zeit, sein schmutziges Gesicht blieb dabei unbeweglich. »Wir beratschlagen noch, ob wir dich umbringen oder dem Laird of Glenbharr übergeben sollen, vielleicht springt dabei eine kleine Belohnung für uns heraus. Der Laird mag nämlich genau wie wir keine Engländer.«
Ein Blick in Iains dunkle, hart glänzende Augen ließen sie verstummen.
Er hatte nicht gescherzt, seine Worte waren bitterernst gemeint.
Joan schluckte und stammelte: »Ich verstehe nicht. Was habe ich denn getan?«
»Deine eigenartige Aufmachung macht
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