Im Bann des Mondes
hängen, und Ian spürte, dass seine Krallen drohten hervorzubrechen. Er wollte sie in die Bestie schlagen, die Lane das angetan hatte. Doch dann dachte er plötzlich an Daisy und beruhigte sich wieder.
»Wie hast du ihn überhaupt gefunden?«, fragte Ian.
Archer blickte Ian ins Gesicht. Seine Miene nahm einen angespannten und noch erschöpfteren Ausdruck an. »Das ist das Seltsamste daran. Er fand uns. Gilroy machte die Tür auf, als es klopfte, und da lag er … bewusstlos und völlig zerfetzt.«
Ian runzelte die Stirn und richtete den Blick in den Garten. Wer käme auf die Idee, den Inspektor hierher zu bringen? Und noch wichtiger … wie hatte er das Ganze überhaupt überlebt? Denn Ian wusste genug über die Angehörigen seiner Art, um zu wissen, dass ein solcher Angriff erst endete, wenn dem Opfer die Kehle herausgerissen worden war.
Zwischen den beiden Männern herrschte angespanntes Schweigen. Würde sich daran je etwas ändern? Wollte er das überhaupt? Ian war schon so lange so wütend auf seinen alten Freund, dass er sich gelegentlich gar nicht mehr erinnerte, wie oder warum das alles eigentlich angefangen hatte. Und in solchen Momenten brauchte Archer nur in seine Nähe zu kommen, und schon wollte Ian ihn zerfetzen, wobei Wut und das Gefühl, verraten worden zu sein, ihn schier überwältigten.
Doch als er jetzt neben dem anderen stand, bemerkte Ian ein seltsames Unbehagen. Und obwohl es ihn mit Bitterkeit erfüllte, wusste er, dass es sich bei dem Gefühl um Reue handelte. Tatsächlich vermisste er seinen Freund. Wütend und angewidert von sich selbst trat er einen Kieselstein vom Rand der Treppe weg.
Schließlich brach Archer das Schweigen. »Und was Daisy angeht«, er ließ seinen Stumpen fallen und trat ihn mit dem Absatz aus, »vielleicht möchte sie bleiben …«
»Sie bleibt bei mir.«
Mit überraschtem Blick sah Archer Ian an. »Du bist dabei, dich in sie zu verlieben.«
Ian knirschte mit den Zähnen. »Hältst du das etwa für unmöglich?«
»Nicht unmöglich und auch nicht verwunderlich. Ich halte es einfach nicht für ratsam.«
Wut stieg in Ian auf, in seinem Innern zog sich alles zusammen und sein Wolf kam hoch. »Ich glaube, das Gleiche habe ich vor einiger Zeit zu dir gesagt.« Und ihn sollte der Teufel holen, wenn seine damalige Einmischung jetzt nicht auf ihn zurückfiel. »Und es hat dich auch nicht abgehalten.«
Sein Gegenüber ließ sich davon nicht einschüchtern. »Sie ist sterblich.«
Drei schlichte Worte. Doch sie reichten, um ihm einen Schlag zu versetzen. Ian fluchte und wandte sich ab. Sein Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen, war so heftig, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten. Eiswasser schien plötzlich durch seine Adern zu strömen.
Himmel!
Unerfreuliche Erinnerungen füllten seinen Kopf wie klebriges Harz. Jeder einzelne Herzschlag schmerzte, als er die Augen schloss, um die Flut der Bilder, die auf ihn einstürmte, aufzuhalten. Aber sie kamen trotzdem. Unas faltiges Gesicht, das einst so glatt gewesen war, die trüben Augen, die zu ihm aufschauten und die mal hell geleuchtet hatten.
Rühr mich nicht an, Ian. Ich kann dich nicht anschauen, ohne daran zu denken, wie ich einst war. Bitte, geh. Ich kann deinen Anblick nicht ertragen
.
Seine Gefühle, sein Schmerz hatten keine Rolle mehr gespielt. Durch die zusammengebissenen Zähne holte Ian zischend Luft. Und dann noch einmal. Der Wolf in seinem Innern winselte, drehte sich im Kreis und kauerte sich zusammen. Flehend. Ja, er wusste besser als jeder andere, wie dumm es war, Daisy zu wollen. Trotzdem bäumte sich in ihm alles auf bei dem Gedanken, sie aufzugeben.
Unas Worte quälten ihn weiter und nagten an seinem Gewissen.
Es war ein Fehler, Ian
.
Benommen legte er eine Hand auf die Balustrade und spürte, wie seine Krallen sich hineinbohrten. Ein schwarzer Abgrund tiefer Verzweiflung tat sich vor ihm auf und drohte, ihn zu verschlingen. Er wusste mit absoluter Sicherheit, wie sein Leben ohne Daisy aussehen würde, denn so hatte er die letzten achtzig Jahre verbracht. Da konnte er sich auch gleich in dieses Loch stürzen und es hier und jetzt beenden, wenn das der Gang der Dinge sein sollte.
Archers Stimme durchdrang den Alptraum, den er gerade durchlebte. »Während ich dumm genug war zu handeln, ohne mir über die Konsequenzen völlig im Klaren zu sein, weißt du Bescheid. Du hast es erlebt. Tu es nicht noch einmal. Sei kein Narr.«
Ian fuhr zu ihm herum. »Von dir lasse ich mir nicht sagen, was
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