Im Bann des Mondes
Wolf bäumte sich kurz auf und schrie vor Hass und Wut. Er hasste den Lykaner.
Dessen Grinsen wurde breiter. »Oh, du bist wirklich herrlich in deiner Wut. Aber du richtest sie gegen den Falschen. Ist nicht all diese Jahre für deine Sicherheit gesorgt worden? Dafür, dass du nicht hingerichtet wurdest? Verdammt, du hattest sogar eine Frau, so entstellt wie du bist.«
Seine Frau. Der Mann im Wolf brüllte vor Kummer.
»Dein Clan hat sich um dich gekümmert.« Der Lykaner trat mit blitzenden Augen näher. »Nachdem
er
dich ins Grab gebracht hatte!«
Der Wolf winselte, und die Beine drohten unter ihm nachzugeben. Begraben im Dunkel. Umgeben von einem Sarg aus Hartholz. Seine Krallen waren bis zum Knochen abgewetzt, als er es endlich geschafft hatte, unter Holz und Erde hervorzukommen. Rasender Schmerz schoss durch seinen Kopf, und er heulte auf.
»Ah ja, du erinnerst dich also ein bisschen, nicht wahr?« Die Stimme des Lykaners nahm einen beschwichtigenden Tonfall an. »Du erinnerst dich daran, dass er dich zurückließ. Dass er einfach sein Leben weiterführte, deine Mutter verwelken ließ, als wäre sie ein Nichts, bis sie schließlich dahinschied.«
Wieder drohte sich die übliche Benommenheit seiner zu bemächtigen. Er erinnerte sich an den Lykaner mit den blauen Augen. Eine ruhige Stimme. Sicherheit. Geborgenheit. Ein Zuhause. Der Mann im Innern des Wolfs wollte sich erinnern. Aber der Wolf wollte es nicht. Der Wolf schlug den Kopf gegen die Mauer seines Verlieses, sodass Schmerz durch seinen Schädel schoss und die Erinnerungen vertrieb, während der Mann im Geist des Wolfs raste und tobte.
»Und jetzt hat er deine Frau. Wahrscheinlich besorgt er es ihr gerade.«
Mann und Wolf gerieten außer sich und warfen sich vereint gegen die Gitterstäbe. Die Knochen des Wolfs knackten. Blut strömte, seine Zähne nagten am Eisen, und er spürte den Geschmack von Blut auf der Zunge. Und der Lykaner lachte einfach nur.
»Bald, Maccon. Bald bekommst du deine Rache.«
Daisy stattete ihren Besuch ab, als Miranda nicht zu Hause war. Sie weilte bei Poppy, um der völlig Verzweifelten wegen Winstons abweisender Haltung Trost zu spenden. Wäre Miranda da gewesen, hätte Daisy das hier nicht durchgestanden.
Obwohl sie unangekündigt kam, empfing ihr Schwager sie sofort.
»Daisy.« Besorgt glitten Archers silbrige Augen über ihr Gesicht. »Geht es dir gut?«
Vor Nervosität hatte Daisy einen ganzen Schwarm aufgescheuchter Bienen im Bauch. Sie umklammerte die Kanten ihres Umhangs. »Das ist das Problem, Archer. Ich bin mir nicht sicher.«
Sein gut aussehendes Gesicht verfinsterte sich. »Geht es um Northrup? Hat er dich mit irgendetwas bekümmert?«
Sie hatte ganz den Eindruck, dass Ian sich wieder eine Tracht Prügel einhandeln würde, sollte sie mit Ja antworten. Ein zittriges Lächeln zuckte um ihre Lippen, denn trotz seiner wortkargen Art sorgte Archer sich wie ein Bruder um sie. »Nein, nichts dergleichen. Ian ist … Er ist gut zu mir, Archer.«
Ein Teil der Anspannung wich von Archer, als er nickte, sodass ihm eine schwarze Locke in die Stirn fiel. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich bin froh.« Seine Mundwinkel verzogen sich, als würde es ihm schwerfallen, die nächsten Worte auszusprechen. »Weißt du … er war mal mein engster Freund. Früher.«
Mit finsterer Miene starrte er auf seine Hand. Daisy fragte sich, ob er sich wieder an jene Zeit erinnerte, als er halb Mensch, halb Dämon gewesen war. Miranda hatte ihn nichtsdestotrotz geliebt, und Daisy konnte sehen, warum. Er war loyal und ehrlich. Ein guter Mann.
»Ian hat sich verändert«, sagte er. »Ich sehe in ihm wieder den Mann, der er einmal war.«
»Wenn er sich je dazu überwinden kann, seinen Stolz herunterzuschlucken«, meinte sie und unterdrückte ein trauriges Lächeln, »würde er wohl fragen, ob er wieder dein Freund sein dürfte.« Himmel, sie hoffte, dass das stimmte.
Archer gab einen typisch männlichen Laut von sich, mit dem er sie wohl glauben machen wollte, es wäre ihm egal. Doch für Ian war es vermutlich wichtig, dass es ihm nicht egal war. Einen Moment lang bekam sie wegen des Schmerzes und der Angst, die ihr Herz zusammenzogen, keine Luft.
»Er wird dich brauchen, Archer«, sagte sie, als sie wieder reden konnte. »Auch wenn er das nie zugeben wird.«
Sein Kopf kam mit einem Ruck hoch, und er sah sie mit besorgtem Blick durchdringend an. »Sag mir, warum du hier bist, Daisy.«
Daisy holte
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