Im Bann des Mondes
Ian durchdringen? Sie würde es schaffen. Sie musste.
»Hallo«, sagte sie ruhig – was eine Lüge war, da ihr Herz drohte zu zerspringen, so heftig schlug es. »Ich weiß, wer du bist«, sagte sie langsam … sanft. »Ich habe darauf gewartet, dich kennenzulernen.«
Der Wolf winselte, legte den Kopf leicht schief und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn.
»Ja«, sagte sie und tat so, als würde sie nicht stockend atmen und ihre Finger nicht zittern. »Komm zu mir. Lass dich berühren.«
Der Wolf setzte zum Sprung an und war mit einem Satz bei ihr. Sein großer Kopf stieß fest gegen ihre Schulter und brachte sie fast aus dem Gleichgewicht. Sie keuchte, doch dann tat sie, was der Instinkt ihr riet, und schob ihre Finger in das dichte, raue Haar am Nacken des Wolfs. Seine Augen schlossen sich leicht, doch daraus sprach nicht Aggression, sondern Wohlbehagen.
Seufzend streichelte sie sein Fell. »Wenn du hier bist, dann weil du Ian schützen musstest.« Das war der einzige Grund, den Daisy sich vorstellen konnte. Ian hätte nie die Kontrolle über seinen Wolf verloren, wäre es nicht die letzte Möglichkeit gewesen.
Ja. Um dich zu retten.
Ians Stimme und dann wieder nicht. Sie klang rauer, primitiver. Die Stimme des Wolfs.
Daisy stockte der Atem, und ihre Augen brannten. »Das hast du gut gemacht. Sehr gut.«
Um dich vor dem Werwolf zu retten
. Der Blick aus blauen Augen ging an ihr vorbei und richtete sich auf den toten Mann. Der Wolf stieß einen leise klagenden Laut aus. Dann drehte er den Kopf weg, als könnte er den Anblick nicht ertragen.
»Ich bin so stolz«, murmelte sie, als der Wolf sie unter dem Kinn mit der Schnauze anstieß. Ihre Zähne knallten aufeinander, und ehe sie sich rühren konnte, packte der Wolf mit sanften Reißzähnen ihren Unterkiefer. Mehr nicht. Er hielt sie nur fest. Sie gehörte ihm.
Lächelnd stieß sie ihn zurück. »Das reicht.« Sie war verrückt, konnte nur hoffen, dass der Wolf verstand. Anscheinend tat er es, denn er hechelte nur und stieß sie noch einmal leicht an.
Daisy schlang die Arme um seinen Hals. »Lass ihn zurückkommen«, wisperte sie. »Ich könnte es nicht ertragen, ihn zu verlieren.«
Der Wolf winselte, und sie streichelte sein Fell. »Er weiß jetzt, wie er dich freilassen kann. Er wird es wieder tun. Aber ich brauche ihn jetzt.« Der Wolf erstarrte, und ihr schlug das Herz bis zum Hals. »Ian«, bettelte sie, »komm zu mir zurück. Komm zurück.«
Einen schrecklichen Moment lang hatte die Furcht sie voll im Griff, doch dann regte sich der Wolf. Knochen knirschten und knackten, der Körper, den sie umschlungen hatte, schrumpfte. Im nächsten Augenblick spürte sie glatte, heiße Haut, und Ian lag in ihren Armen. Er war so schwach wie ein Baby und fiel auf die Knie. Seine Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen, als er mit geröteten Augen zu ihr aufsah. »Ich glaube«, sagte er, »mir wird gleich schlecht.«
Er klammerte sich an sie. Sein Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt und zitterte. Daisy umarmte ihn fest. Doch sie spürte, wie er erstarrte, als sein Blick auf den verdrehten Leichnam fiel, der am Boden lag. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, und er sackte in sich zusammen.
»Maccon.« So viel Schmerz in einem Namen.
Daisy erstarrte. Maccon? Sie warf einen Blick auf den Leichnam des armen Mannes und sah dann wieder Ian an, der sich aus ihren Armen befreite und nach vorn taumelte. Aus seiner Haltung sprachen Kummer und Verzweiflung.
Ich hatte einen Sohn. Maccon. Er war vollkommen. Ein guter Junge.
Alles fing an, sich zu drehen.
Oh Gott
, Ians Kind. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihre Brust.
Ian. Was habe ich getan?
Ians Atemzüge rasselten, als er sich neben dem Leichnam auf den Boden sinken ließ.
»Aber er ist tot«, rief sie voller Panik. »Du sagtest, er wäre tot.«
Ian blickte sie nicht an. »Er war bereits zum Lykaner gereift.« Mühsam schluckte er. »Ich … ich wusste das nicht.« Ganz vorsichtig, als hätte er Angst, der Leichnam könnte zerbrechen, nahm Ian seinen Sohn in den Arm und zog ihn an seine Brust. Maccons Kopf fiel nach hinten. Die toten Augen blickten ins Leere.
Daisy schlang die Arme so fest um sich, dass ihre Knöchel knackten.
Nein, nein, nein. Bitte, lass es nicht wahr sein.
»Ich habe ihn umgebracht.« Wie konnte man nur so etwas Dummes sagen? Was hatte sie getan?
»Ja.« Ian sah nicht von seinem Sohn auf.
»Ian …« Ihre Stimme brach. »Ich … ich wusste es nicht.«
Er schien sie
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