Im Bann des Nebels, 2, Der ewige Bund (German Edition)
heller Tag, die Sonne schien vom blauen Himmel, und selbst in ihrem braunen Umhang musste sie deutlich zu sehen sein. Sie hatte keine Chance, aber wenigstens würde sie sich wehren.
Dann hörte sie eine Stimme.
»Okay, aber wo? Ich sehe überhaupt nichts außer blöden Steinen!«
Eine Mädchenstimme, so vertraut, dass es wehtat.
Ein Schnauben antwortete ihr, und dieses Schnauben hätte Sonja unter Millionen wiedererkannt. Aber es konnte nicht sein. Es war unmöglich. Sie hatte gesehen –
Sie richtete sich auf. Stumm und fassungslos.
Keine zehn Meter von ihr entfernt saß Melanie auf Beyashs Rücken und blickte sich stirnrunzelnd um. Und neben ihr stand Nachtfrost, der Sonja anschaute. Ohne einen Zweifel, ohne Überraschung, als hätte er ganz genau gewusst, wann und wo sie wie ein wildes, zerzaustes Erdmännchen aus einer Grube auftauchen würde.
»Nachtfrost«, hauchte sie.
Melanie drehte sich um und starrte sie an. Zuerst schien sie sie gar nicht zu erkennen. Dann kreischte sie: »Sonja!« Beyash scheute, aber sie achtete gar nicht darauf, rutschte von seinem Rücken und rannte auf Sonja zu.
Sonja war acht Tage lang mit einem Schatten durch menschenleeres Land gewandert und hatte sich vor allem versteckt, was lebendig aussah. Unwillkürlich wich sie zurück. Melanie merkte es nicht und fiel ihr um den Hals. » Sonja! Mensch, bin ich froh, dich zu sehen! Du hast keine Ahnung, was zu Hause passiert ist!«
Ihre Stimme war grell, laut, fremd – Sonja schüttelte benommen den Kopf. Das war Melanie! Ihre beste Freundin! Warum fühlte sie sich wie ein wildes Tier, das plötzlich in eine Falle geraten war? Warum musste sie den Drang unterdrücken, wegzulaufen und sich wieder zu verstecken?
Du warst zu lange allein , hörte sie Nachtfrosts Stimme in ihrem Kopf, und sie merkte, dass ihr schon wieder die Tränen über die Wangen liefen. Melanie ließ sie los, und sie ging auf Nachtfrost zu, wie im Traum. Aber es war kein Traum. Er trottete zu ihr hin, und sie schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht in seinem Fell.
Irgendwo hinter ihr redete Melanie unablässig drauflos. »… und du kannst dir nicht vorstellen, wie lange wir nach dir gesucht haben, stundenlang, obwohl Nachtfrost gesagt hat, er wüsste, wo du bist, aber dann flog irgendein Vieh über uns weg, und Beyash scheute und …«
Sonja hörte ihr nicht wirklich zu, aber sie tauchte in den Wortschwall ein wie in ein heißes Bad. Es war einfach nur schön, dazustehen und Nachtfrost zu umarmen und zu wissen, dass alles wieder gut werden konnte, auch wenn man gerade acht Tage in einem Albtraum gelebt hatte.
Sie löste einen Arm von Nachtfrosts Hals und streckte die Hand nach Melanie aus, und als die Freundin zu ihr kam, zog sie sie in die Umarmung hinein. Jetzt fehlte eigentlich nur Beyash, aber der Rotfuchs war mehr daran interessiert, das spärliche Gras am Abhang aufzufressen.
»Alles okay?«, fragte Melanie, die endlich zu merken schien, wie still Sonja war.
Sonja nickte. »Ich habe …« Ihre Stimme war heiser, und sie versuchte es noch mal. »Ich habe euch so vermisst –«
» Wir dich auch«, sagte Melanie und strahlte sie an. »Hast du eigentlich Hunger?«
Sonja überlegte. Ja, natürlich hatte sie Hunger. Sie hatte immer Hunger, aber das hatte nichts zu bedeuten. »Ich glaube schon. Aber –« Plötzlich war alles wieder da. Haelfas. Der Spürer. Die Suchtrupps. »Wir müssen sofort weg von hier!« Sie schaute zu Nachtfrost hoch und war plötzlich nicht sicher, was sie tun sollte. Würde er sie überhaupt tragen wollen? Sie waren so lange getrennt gewesen …
Aber er schnaubte und drehte sich mit seiner ganzen Breitseite zu ihr hin und drängte ihr förmlich seinen Körper entgegen, sodass auch die dümmste Sonja irgendwann begreifen musste, was er ihr sagte: Er liebte sie, er hatte sie vermisst, und er wollte mit ihr zusammen durch Parva galoppieren, und zwar sofort.
Also schwang sie sich auf seinen Rücken, und als sie oben saß, war es, als seien sie niemals getrennt gewesen. Melanie fing Beyash ein und stieg ebenfalls auf. »Wohin?«
Sonja blickte zu den grauen Bergen zurück, die sie so mühsam zu Fuß durchquert hatte. Jetzt, auf dem Rücken ihres Einhorns, fühlte sie sich, als könnte sie fliegen. Aber sie wusste, dass sie diese Wanderung und den Schatten niemals vergessen würde. Leb wohl, dachte sie, obwohl sie Haelfas ja streng genommen nicht wirklich zurückließ – nicht, wenn er oder seine Seele oder was auch
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