Im Bann des Nebels, 2, Der ewige Bund (German Edition)
zwang ihn erneut zu halsbrecherischem Galopp.
Nachtfrost wieherte wieder. Abrupt hielt Wurzel an, und Elri flog von seinem Rücken in den Schnee. Geschmeidig wie eine Katze rollte sie sich ab, kam wieder auf die Füße und rannte auf das Pony zu. Schnaubend, mit flach zurückgelegten Ohren, wich es vor ihr zurück – und dann brach es plötzlich mit den Hinterbeinen durch den Schnee. Verzweifelt kämpfte es um Halt, strampelte mit den Vorderbeinen – und rutschte in die Tiefe und war weg. Sein Wiehern klang wie ein verzweifelter Schrei.
Elri stand wie versteinert am Rand einer Schlucht. Es war nur ein schmaler Spalt, der unter dem Schnee verborgen gewesen war.
Nachtfrost blieb stehen. Er hatte die Ohren flach angelegt und starrte zu Elri hin. Zornig stampfte er auf und peitschte mit dem Schweif.
Steig ab , befahl er Sonja. Und halt dich von ihr fern .
Sie rutschte in den Schnee, noch betäubt von Schreck und Entsetzen. »Aber ich kann sie doch nicht allein –«
Wolfsblut , sagte er. Wenn du jetzt zu ihr gehst, greift sie dich an .
» Was? Aber –« Sie brach ab.
Nachtfrost setzte sich in Bewegung. Schritt für Schritt ging er auf Elri zu, mit gebogenem Hals, drohend und vollkommen beherrscht. Das Nomadenmädchen duckte sich, wich zurück, stieß ein seltsam jaulendes Geräusch aus. Und mit jedem Schritt, den Nachtfrost auf sie zutrat, verwandelte sie sich. Ihre Haut wurde dunkel, ihr Gesicht verformte sich, schwarzer Pelz wuch aus ihren Wangen. Und als er vor ihr stehen blieb, war sie eine schwarze Wölfin, die aus den zu weiten Kleidern schlüpfte und winselnd vor ihm kauerte.
Wolfsblut.
Jetzt verstand Sonja, was Nachtfrost damit gemeint hatte. Und nun verstand sie auch, was ihr so seltsam vorgekommen war – Elris Reizbarkeit und Ungeduld, Lorins Bemerkung über den Wolfsruf und, lange zurückliegend, das Wort Großmutter , mit dem sie Veleria angesprochen hatte und das Sonja für eine reine Höflichkeitsform gehalten hatte.
Elri war eine Tesca.
Eine nicht sehr glückliche Tesca. Sie wich noch mehr zurück, klemmte den Schwanz ein, trat auf der Stelle – und plötzlich drehte sie sich um, sprang mit einem Satz über die schmale Schlucht und jagte mit großen Sprüngen durch den Schnee davon.
Nachtfrost schaute ihr nach und senkte dann den Kopf, um an der Kante der Schlucht zu schnuppern. Als Sonja zu ihm hinstolperte, legte er warnend ein Ohr zurück.
Nicht näher .
Sie zitterte noch am ganzen Körper. Das alles war so schnell gegangen … »Was machen wir denn jetzt?«, fragte sie kläglich.
I hr zieht weiter. Ich komme nach .
Damit hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet. Sie hatte ein Gefühl, als würde ihr plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. »Was? Aber – wieso?«
Glaubst du, ich würde dich am Grund einer Schlucht mit gebrochenen Beinen liegen lassen?
Sie zuckte zusammen. »Nein! Aber ich dachte – ich dachte, Wurzel wäre …« Sie verstummte.
Er ist nicht tot , sagte Nachtfrost.
Vor Erleichterung wurden ihr die Knie weich. »Aber – und – aber was ist mit Elri?«
Lass sie laufen. Sie muss sich austoben und kommt dann zurück.
»Und was machen wir mit Wurzel?« Sie wagte sich nicht näher an den Spalt heran, aber Mitleid mit dem Pony schnürte ihr das Herz ab. In den vergangenen Tagen waren ihr Beyash, Darians brauner Wallach Nalar und die beiden Ponys fast so lieb geworden wie damals Micky und Bjarni, die Ponys auf Herrn Frickels Waldhof. Es war schrecklich, sich vorzustellen, dass Wurzel dort unten mit gebrochenen Beinen lag, und sie spürte, dass auch Nachtfrost traurig und wütend darüber war. Und alles nur, weil sie sich gezankt hatten …
Es ist nicht Elris Schuld , sagte Nachtfrost.
»Du bist nicht böse auf sie?«
Die erste Verwandlung ist schmerzhaft und beängstigend. Sie wusste, dass es passieren würde, aber sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte . Er hob den Kopf in den kalten Wind, witterte und lauschte. Geht jetzt. Wir holen euch ein. Wenn etwas passiert, denk an das, was du bist. Und haltet euch von der Straße fern!
»Straße? Welche –«
E r hörte nicht mehr zu. Mit einem Satz sprang er in die Schlucht. Schwarz und Silber verschwanden in der grauen Tiefe, und Sonja stand allein im kalten Wind und zitterte.
»Was hat er vor?«, fragte Lorin dicht hinter ihr. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Der Nomadenjunge stand einen Meter entfernt im Schnee. Graue, vernarbte Haut, sanfte braune Augen, ein Schwung wuscheliger brauner
Weitere Kostenlose Bücher