Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
ihre Miene gewichen. »Lass uns noch einmal versuchen, was ich dir beigebracht habe«, meinte sie und hob eine Hand, um seinem Widerspruch Halt zu gebieten. »Ich muss sehen, was passiert«, erklärte sie. Ihre Augen wurden milde, als sie sanft den Druck ihrer Hand verstärkte. »Es muss einen Weg geben, diese Träume abzustellen, Tris«, sagte sie ernst. »Ich werde dir helfen, ihn zu finden.«
Tris hielt ihrem Blick stand. »Ich werde sie nicht im Stich lassen, Carina«, wiederholte er. »Und ich habe Angst, wenn wir die Träume abstellen, verliere ich die Verbindung, die ich habe. Können wir sie nicht …« – er stockte und suchte nach Worten – »… abschwächen, anstatt sie völlig zu löschen, so wie wir es mit der Art und Weise getan haben, wie ich die Geister wahrnehme, sodass ich sie wahlweise beachten kann oder nicht?«
Carina lehnte sich zurück und betrachtete ihn einen Augenblick lang. »Ich bin eine Heilerin«, sagte sie schließlich, »keine Magierin. Wir brauchen Alyzza«, entschied sie. »Warte hier!« Nach mehreren Minuten kam sie zurück, die Vettelseherin im Schlepptau. Ungeachtet dessen, dass es mitten in der Nacht war, sah Alyzza nicht zerzauster aus als tagsüber.
»Schlechte Träume, Jungchen?«, krächzte sie und ließ sich mit verblüffender Behändigkeit im Schneidersitz neben ihm auf dem Teppich nieder.
Tris nickte. Alyzza nahm Carinas Hand und zog die Heilerin zu ihnen herunter. »Vertraust darauf, dass eine alte Frau dir helfen kann, was?«, kicherte sie. »Du musst sehr schlechte Träume haben.« Sie machte es sich bequem. »Mal sehen, was wir tun können.«
Geduldig führten Carina und Alyzza Tris durch die grundlegenden Techniken der Abwehr und der Astralintrospektion. Sie überwachten, wie er die geistigen Schranken errichtete – Schilde, wie Alyzza sie nannte –, mit denen ungewollte Gedanken und Störungen abgeblockt wurden. Als Abwehren und Schilde eingerichtet waren, testete Alyzza Tris und versuchte sie zu durchbrechen. Ein ums andere Mal hielt er ihr stand, während Carina ihr Heilerinnenbewusstsein ausstreckte und nach den Energien und Belastungen in seinem Körper tastete.
Der Morgen dämmerte schon fast, als Tris sich enttäuscht zurücklehnte. »Es ist nicht euer Fehler«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass wir irgendwelche Fortschritte erzielen. Ich mache alles, was ihr mich gelehrt habt – es ist nicht genug.«
»Wie wär’s, wenn du versuchst hier zu schlafen, wo wir auf dich aufpassen können?«, schlug Carina vor. »Vielleicht halten deine Schilde, wenn du wach bist, aber du kannst sie nicht aufrecht halten, wenn du schläfst?«
Tris schüttelte frustriert den Kopf. »Es ist schon fast Morgen. Wenn das Lager erst einmal erwacht ist, ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Vielleicht habe ich es mir ja auch nur eingebildet.«
»Nein!«, schnarrte Alyzza. »Es war kein Zufall und auch keine Einbildung. Es ist Macht in dir, große Macht!«
»Wenn da so viel Macht ist«, fuhr Tris sie entnervt an, »wo ist sie dann, wenn ich sie brauche?«
»Sie ist zur Hand, wie du gesehen hast«, entgegnete die alte Hexe, verblüfft von seinem Tonfall. »Aber sie ist ungezähmt, und bisher hat sie dich kontrolliert. Du musst lernen, das umzukehren.«
Tris setzte sich wieder auf den Teppich und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Ich verstehe es nicht«, sagte er müde. »Wenn sie kommt, wenn ich sie brauche, wenn ich in Gefahr bin, reicht das denn nicht?«
Alyzza schüttelte den Kopf. »Je mehr du deine Macht benutzt, desto mehr Macht fließt durch dich. Macht will nicht verleugnet werden. Jeder Magier führt einen unaufhörlichen Kampf, um seine Macht davon abzuhalten, ihn zu kontrollieren.«
»Und die dunklen Magier?«, fragte Tris und starrte auf den Kerzenkreis auf dem Zeltboden.
»Die Dunkelmagier leben eine Illusion«, entgegnete Alyzza. »Von ihrer eigenen Macht verzehrt glauben sie, die Kontrolle zu haben. Doch in Wahrheit sind sie nur die Diener einer größeren Dunkelheit.«
»Ich bin bereit, es noch einmal zu versuchen«, seufzte Tris und setzte sich auf die Knie.
»Fokussiere deine Gedanken!«, wies Carina ihn an. »Sieh das Feuer, sieh die Kerzen in Licht aufgehen, spüre es aus dir selbst kommen«, sagte sie leise, als Tris die Augen schloss und seine Hand ausstreckte.
Mit seinem geistigen Auge sah Tris die Kerzen, nahm den Strom der Macht in seinem Inneren wahr. Unaufgefordert erschien Kaits Gesicht aus dem Traum, hörte er ihre Schreie nach
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