Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
ihren starken, muskulösen Armen sah man an, dass sie mit dem Schwert umzugehen gewohnt war. Zu Kiaras maßloser Verblüffung sah sie sich, in nicht mehr als einer Armeslänge Entfernung, Chenne, der Rachegöttin, gegenüber.
»Kiara«, sprach die Erscheinung sie an.
»Ja«, stammelte das Mädchen mit großen Augen.
»Nimm die Flagge auf, Kiara. Dies ist noch nicht die Stunde deines Vaters und auch nicht die deine«, sagte Chenne und fixierte Kiara mit ihren bernsteinfarbenen Augen. »Finsternis zieht auf, und du besitzt einen Schlüssel, der sie vertreiben kann. Erhebe dieses Schwert!«, befahl die Göttin. Zitternd griff Kiara nach dem blutigem Schwert ihres Vaters und legte die Hände um das Heft. Chenne streckte ihre ätherische Hand aus und berührte die Spitze des Schwertes, von der aus im selben Moment eine Welle weißen Feuers die Klinge hinablief.
Kiara hielt den Atem an. Die Klinge leuchtete von innen heraus mit einer blauen Flamme, als ob sie gerade erst das Schmiedefeuer verlassen hätte. Chenne zog die Hand zurück und betrachtete Kiara abschätzend.
»Erhebe dieses Schwert in meinem Namen und wisse, dass die Streitkräfte Isencrofts dir in jedem gerechten Fall folgen werden«, sagte die Göttin der Rache und durchbohrte Kiara mit diesem starren Blick aus den bernsteinfarbenen Augen. »Deine Rolle wird offenbar werden. Glaube nur!«, sagte die Göttin, indes ihre Gestalt unter Kiaras fassungslosen Blicken unkörperlich zu werden begann. »Glaube nur!«
Noch einmal schimmerte die Luft, und dann war das Bild verschwunden; Kiara blieb, das Schwert in Händen, mit offenem Mund zurück. Die Soldaten um sie herum knieten zum Zeichen der Gefolgschaft und Treue nieder, während in ebendiesem Augenblick ihr Vater aufstöhnte und das Bewusstsein verlor.
»Gebiete über uns, Prinzessin«, sagte der Soldat, der ihr am nächsten war, ehrerbietig.
Immer noch zitternd schluckte Kiara, packte das Schwert fest mit beiden Händen und hielt es hoch über den Kopf wie ein stählernes Fanal. Es schien schwerelos in ihrem Griff, noch kribbelnd vor Macht, mehr Reliquie denn Waffe. »Im Namen der Göttin, wir werden die Invasoren zurücktreiben!«, schwor sie und spürte, wie das übernatürliche Feuer im Schwert pulsierte. Ein Soldat streckte die Flagge in die Höhe, während zwei andere eilten, den verwundeten Monarchen wegzutragen, und noch ein anderer Kiara ein Schlachtross brachte. Und dann brachen sie in Hochrufe aus, riefen den Namen der Göttin, sangen Kiaras Namen …
»Eure Hoheit!«, sagte die Stimme wieder, diesmal eindringlicher. »Bitte, wacht auf!«
Kiara Sharsequin fand sich in einem Durcheinander von schweißdurchtränktem Bettzeug wieder und blickte in die besorgten Augen Malaes, ihrer Kammerfrau. »Ich bin wach, ich bin wach«, brachte sie heraus, blinzelte ins Licht und versuchte sich davon zu überzeugen, dass die Ereignisse des Traums in ferner Vergangenheit lagen.
»Ihr müsst Euch fertig machen«, wiederholte Malae. »Der Gesandte wird binnen einer Stunde hier sein.«
Mit einem Ächzen nickte Kiara, blinzelte noch ein paarmal und rollte sich benommen auf die Füße. »Ich kann es nicht fassen, dass sie wegen dieser Sache einen Gesandten schicken«, sagte sie kopfschüttelnd. Als ob er ihr beipflichten wollte, krächzte Jae und zischte lebhaft, dann hüpfte er auf ihr Handgelenk und gluckerte zufrieden, als sie seine Schuppen streichelte.
»Er wird früher unten sein, als Euch lieb ist«, schalt Malae sie sanft aus und dirigierte die Prinzessin zu einem Becken mit gewärmtem Wasser, damit sie sich den Schlaf aus den Augen spritzen konnte, während Jae von Kiaras Arm auf den Waschbeckenrand hüpfte.
»Wie geht es deinem Vater?«, erkundigte sich Kiara, als sie sich aufrichtete und nach einem Handtuch griff.
»Genau wie immer«, erwiderte Malae traurig. »Jeden Morgen fragt Ihr, und jeden Tag bleibt die Antwort dieselbe.«
»Ich weiß«, antwortete Kiara, legte das Handtuch zur Seite und ging zum Schrank. »Aber dennoch hoffe ich jeden Morgen, dass du mir etwas anderes erzählst.«
Sie riss die Schranktüren auf. »Hmm. Ich frage mich …«, betrachtete sie grübelnd die Auswahl. »Was trägt man, wenn man den König des Gesandten nicht heiraten will?« Sie griff nach einem Kleid, schüttelte den Kopf, streckte die Hand nach einem anderen aus, überlegte es sich anders und stemmte schließlich die Arme wieder in die Hüften. Von seinem Logenplatz auf dem Waschbecken tat Jae zischend seine
Weitere Kostenlose Bücher