Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann des Omphalos

Im Bann des Omphalos

Titel: Im Bann des Omphalos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. C. Tubb
Vom Netzwerk:
oder Wasser trinken, und essen, was ihm schmeckt. Aber er hat keine Wahl, wenn es darum geht, wo er geboren wird oder wann er stirbt. Und Mächte, die kein Sterblicher verstehen kann, lenken ihn. Überlegt doch nur. Wieso wurde der König gestürzt? Was veranlaßte seine Schwester, ihm den Thron zu entreißen? Was verursachte den Sturm, der die Abreise des Kaufmanns so lange verzögerte, bis Ihr zu der Herberge kamt und er Euch in seine Dienste nehmen konnte? Könnte es nicht sein, daß all dies nur geschah, um Euch zu dieser Zeit an diesen Ort zu bringen, damit Ihr Euch den Streitkräften des Königs anschließt?«
    Der Mann war ein Philosoph. Vielleicht gab es auf dieser Welt keinen allzu großen Unterschied zwischen Philosophie und Zauberei. Zweifellos war er ein großer Denker, der von Nutzen sein mochte. »Würdet Ihr mir eine Frage beantworten?« bat Carodyne.
    »Und die wäre?«
    »Wie kann ein Mensch sich selbst finden?«
    Die grünen Augen weiteten sich ein wenig, ehe sie sich verschleierten, während Albasar nachdachte. Schließlich sagte er: »Mit dieser Frage beschäftigen weise Männer sich seit unzähligen Jahren. Wie kann ein Mensch sich selbst finden? Er blickt an sich hinunter und da ist er. Aber ist er das, was er betrachtet, oder sieht er durch Augen anderer? Wenn ja, wie würde er es wissen? Und was ist mit seinem Wesen, seinem inneren Ich? Hat ein Mensch sich gefunden, wenn er mit dem, was er tut, nicht zufrieden ist? Kann ein Hirte sicher sein, daß es nicht besser für ihn gewesen wäre, Seefahrer zu werden? Erwägt man diese Frage mit offenem Geist, so stellt sich heraus, welche unvermuteten Verwicklungen sich ergeben. Beispielsweise, meine Hand ist ich, aber wenn ich sie mir abschneide, sterbe ich nicht, wieso kann sie ich sein? Und wenn sie ein Teil meines Ichs ist und ich sie verliere, finde ich mich, wenn ich sie wieder finde?«
    »Ich wollte keine metaphysischen Überlegungen«, sagte Carodyne ungeduldig. »Angenommen, ein Mann weiß wer und was er ist, und doch muß er sich finden. Was dann?«
    »Ein Rätsel?«
    »Nennt es so, wenn Ihr wollt. Könnt Ihr es lösen?«
    »Ein solcher Mann müßte der Wahrheit ins Auge sehen, um sich zu finden.« Albasar streute eine weitere Prise Pulver in das Kohlenbecken. »Und da jeder Mann seine eigene Wahrheit in sich trägt, wie sollte er das tun?«
    »Sich selbst sehen«, meinte Carodyne. »In einem Spiegel vielleicht?«
    »Ein Spiegel offenbart nicht die Wahrheit. Was er wiedergibt, ist nur ein verzerrtes Bild dessen, der hineinblickt. Was dieser mit der Rechten macht, tut das Abbild mit der Linken. Nein, in einem üblichen Spiegel läßt sich die Wahrheit nicht finden. Aber wenn es einen gäbe, der das Bild nicht umgedreht zurückgibt? Der das genaue Ebenbild zeigte?« Albasar breitete die Hände aus. »Das ist die Antwort auf Euer Rätsel. Ein Mensch muß in den Spiegel der Wahrheit blicken, um sich zu finden.«
     

 
10.
     
    Im strömenden Regen wurde das Lager im Morgengrauen abgebrochen. Carodyne verstaute seine Hundertschaft in einem der wartenden Schiffe ohne Kiel und mit unhandlichen Segeln. Die Besatzung waren Schwarze mit krausem Haar, gelben Augen, grellfarbigen Gewändern und blanken Dolchen in den Schärpen um ihre Mitte.
    Als die kleine Flotte ins Elkitmeer stach, schloß Carodyne sich seinen beiden Leutnants im Vorderkastell an. Hostig, ein kräftiger blonder Riese aus dem Norden, hatte Wein bringen lassen. Er nahm einen Schluck und spuckte ihn in hohem Bogen aus. »Dieser verdammte Schiffer!« fluchte er. »Er hat ihn gewässert, und sauer ist er obendrein.«
    »Alle Menschen betrügen, wenn es ihnen leicht gemacht wird«, philosophierte Seyhat, ein dunkelhaariger Mann mit olivenfarbiger Haut, der eine gut gearbeitete Rüstung und teure Seide trug. »So ist das Leben. Wir berauben andere und werden selbst beraubt. Jedes Lebewesen lebt von anderen. Wie die Flöhe eines Hundes. Die ganze Welt ist ein Parasit.«
    Hostig knurrte tief in der Kehle. »Schimpfst du mich einen Floh?«
    Seyhats Augen verengten sich. »Und wenn?«
    Eine schwere Pranke umklammerte einen Dolchgriff. »Dieser Floh hier kann beißen, Seyhat. Komm mit an Deck, dann zeig ich es dir!«
    Carodyne beobachtete sie und fragte sich, ob sie sich nur so benahmen, um seine Reaktion zu testen. Männer wie sie würden niemanden respektieren, der nicht stärker war.
    Hart setzte er seinen Becher auf. »Ihr bleibt hier! Wenn ihr einander an die Kehle wollt, werde ich euch

Weitere Kostenlose Bücher