Im Bann des Omphalos
sich in die Brust eines Piraten, der gerade die Streitkeule herabsausen lassen wollte. Weitere Soldaten folgten unter Seyhats wohlüberlegten Kommandos. Nach einer wirkungsvollen Pfeilsalve hatte Carodyne bereits etwa ein Drittel des Decks hinter sich, und die brüllenden Söldner, die das sinkende Schiff verlassen hatten, folgten ihm.
Wie tollwütige Hunde wehrten die Piraten sich, nachdem ihr erster Schreck sich gelegt hatte. Sie hatten das Schiff für einen hilflosen Kauffahrer und leichte Beute gehalten, selbst nach dem Beschuß waren sie noch völlig von ihrer Überlegenheit überzeugt gewesen. Carodyne hatte sie mit seinem Überraschungsangriff verwirrt und Fuß gefaßt, ehe sie sich mit der veränderten Situation abgefunden hatten. Nun, da sie sich dem Tod gegenübersahen, kämpften sie wie echte Seewölfe.
Trommelschlag hob sich über die Schreie der Sterbenden und das Klirren des Stahles. Ruder wühlten das Wasser auf, als die Galeere sich von dem sinkenden Schiff löste und so den Soldaten an Deck die Hoffnung auf weitere Verstärkung nahm. Vom Heck kam eine neue Welle Angreifer, ausgeruht und entschlossen zu töten oder zu sterben, weil sie wußten, daß es keine andere Chance gab.
Carodyne duckte sich, als eine Säbelspitze nach seinem Visier stach. Fast gleichzeitig trennte er dem Gegner die Fußsehne durch, dann sprang er hoch und stieß den Dolch in eine Kehle. Eine Streitaxt prallte von seinem Helm ab. Ein Säbel spießte seinen Umhang auf. Er parierte einen heftigen Hieb, schlug den Schwertknauf in ein wutverzerrtes Gesicht, und spürte, wie sein Dolch von Knochen ab- und tief in Fleisch glitt. Er war in ständiger Bewegung, tänzelte fast auf den Fußballen, hieb, stach, parierte, schwang Schwert und Dolch. Die Welt um ihn war blutig rot und hallte von Schreien und Gebrüll wider.
Und plötzlich befand sich nichts als die See vor und der Himmel über ihm. Er hörte, wie Hostig befahl: »Über Bord mit ihnen! Säubert das Deck!«
Carodyne schob das Visier hoch. Die Männer um ihn waren eifrig damit beschäftigt, die Toten über die Reling zu werfen, und die Verwundeten ebenfalls, wenn es sich um Piraten handelte. Jenseits des Buges konnte er den schwer krängenden Kauffahrer sehen, und Männer, die sich an die hochgelegene Reling drängten. Im Wasser verschlangen Haie den unerwarteten Segen.
Er blickte an sich hinunter. Von Kopf bis Fuß war er blutbesudelt, und helle Streifen hoben sich von den Metallplättchen seiner Brigantine ab. Sein Umhang bestand nur noch aus Fetzen.
»Seyhat!« rief er. »Zu mir mit einigen Männern!«
»Schwierigkeiten, Mark?« Der Leutnant wischte sich Blut von der Wange und kam mit einem halben Dutzend Söldnern herbei.
»Wir müssen die Männer auf dem Schiff retten. Folgt mir!«
Ein Toter lag über einem Lukendeckel. Carodyne schob ihn zur Seite und kletterte durch das Luk in die Düsternis. Eine Laufplanke führte zwischen den Ruderbankreihen hindurch. Der Gestank hier war grauenvoll. Ein Mann starrte Mark mit stumpfen Augen entgegen. Er war bis auf die Haut abgemagert, Narben und Striemen bedeckten Schultern und Rücken, eiternde Geschwüre Füße und Schenkel. Seine ganze Kleidung bestand aus einem schmutzstarrenden Fetzen um die Lenden. Die anderen Ruderer glichen ihm fast aufs Haar. Sie waren durch die schreckliche Behandlung zu Tieren abgestumpft, die sich mit ihrem unvermeidbaren Schicksal abgefunden hatten.
»Öffne jedes Luk, das du findest«, befahl Mark einem Soldaten. »Laß Licht und Luft herein. Mach schon!« Dann wandte er sich an die Galeerensklaven: »Wir haben dieses Schiff erobert und werden euch bald alle frei setzen. Doch zuerst müßt ihr noch rudern, um andere zu retten. Versteht ihr?«
Sie starrten ihn mit hängendem Mund an, ohne zu begreifen. Ein Herr war so schlimm wie der andere. Sie rührten sich ein wenig, als die Luken weit aufgerissen wurden, und kniffen die Augen vor dem ungewohnten Licht zu.
Seyhat flüsterte Mark zu: »Sie sind Tiere, die nur zum Rudern taugen.«
»Sie sind Männer«, antwortete Carodyne hart. »Laß den Trommler suchen, und wenn du ihn nicht findest, von einem anderen den Takt schlagen. Wir müssen unsere Männer auf dem Kauffahrer retten.«
»Und wer soll steuern?«
»Ich kümmere mich darum.«
Zurück an Deck blickte Carodyne hinüber zu dem versinkenden Schiff. Unter ihm begann die Trommel zu schlagen, langsam zuerst, dann schneller, als die Ruder ins Wasser tauchten. Die Galeere war während des
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