Im Bann des Omphalos
wartet?«
»Nein«, antwortete Seyhat schnell. »Wir erlitten Schiffbruch an der Küste und legten den Rest des Weges zu Fuß zurück. Wir haben nichts zu essen und keine Möglichkeit, von hier wieder fortzukommen.«
Der hoffnungsvolle Ausdruck machte Verzweiflung Platz. »Dann können nur die Götter uns noch helfen. Wir sind so gut wie tot!«
Albasar hatte sein Zelt an den Fuß der Klippe gelehnt, so daß es zumindest von dieser Seite geschützt war. Er erhob sich, als Carodyne eintrat. Er wirkte groß und geheimnisvoll in seiner silberbestickten Robe. In seinen grünen Augen spiegelte sich der Schein des Leuchtedelsteins. Auf einem Tischchen lagen alte Schriftrollen. Von einem kleinen Kohlebecken stieg dünner duftender Rauch auf.
»Mark! Ein Gebet wurde zumindest erhört! Ich befürchtete, Ihr wärt in dem Sturm umgekommen.«
»Es fehlte nicht viel.«
»Der König war überzeugt davon. Trotz meines Rates weigerte er sich, auf Euch und Eure Männer zu warten. Wie Ihr inzwischen sicher erfahren habt, war es keine weise Entscheidung. Und wie erging es Euch?« Er lauschte, als Carodyne berichtete. »Euer Schiff. Wartet es in der Nähe?«
»Es ist zurückgesegelt. Ich traf eine Abmachung mit dem Kapitän. Sobald er uns abgesetzt hatte, stand es ihm zur Verfügung. Er sollte die Sklaven freisetzen und die Galeere verkaufen. Was ist mit den anderen?«
»Sind ebenfalls wieder in See gestochen. Die Kapitäne weigerten sich zu warten, gleichgültig, was der König versprach. Hätten wir des Kaufmanns Reichtümer bekommen, sähe es nun anders aus.« Albasar zuckte die Schultern. »So wie es jetzt ist, können die Männer zumindest nicht desertieren. Wären die Schiffe geblieben, hätte sich gewiß keiner halten lassen, und Ihr würdet uns nicht gefunden haben.«
»Es war ohnehin schwierig in dieser Dunkelheit hier.«
»Möge Marash sie uns erhalten. Ich beschwor einen schwarzen Nebelring um uns, damit der Feind uns nicht findet. Aber gegen die elementaren Kräfte des Meeres verliert selbst der stärkste Zauber an Macht. Nun, eine Weile wird es genügen.« Er klatschte in die Hände und befahl dem eintretenden Sklaven. »Bring uns Wein.«
Der Mann zögerte. »Herr, es ist der letzte.«
»Dann wollen wir ihn genießen, solange wir noch dazu imstande sind.« Albasar reichte Carodyne einen Kelch und goß ihn aus einem glasierten Tonkrug voll, den der Sklave ihm gab. »Wir landeten zwei Tage, nachdem wir uns eingeschifft hatten. Die Strapazen der unbequemen Reise hatten die Männer sehr mitgenommen, und sie waren mutlos. Einen Tag warteten wir auf Euch, dann übermannte den König die Ungeduld. Wir horchten uns im Land nach Hilfe um. Ein paar Männer schlossen sich uns tatsächlich an, aber die meisten rannten zur Stadt, oder versteckten sich irgendwo. Da wir keine Schiffe mehr hatten, blieb uns nichts übrig, als anzugreifen.«
»Ihr hättet euch zurückziehen können«, entgegnete Carodyne. »In geschlossenen Reihen wäre es euch gewiß möglich gewesen, in Sicherheit zu marschieren.«
»Genau das riet ich auch dem König. Meine magischen Kräfte verrieten mir, daß die Zeit für einen Angriff ungünstig war, aber er war besessen davon, seinen Thron zurückzugewinnen, und die Mauern von Kedash zogen ihn unwiderstehlich an. Er war überzeugt, daß er nur anzugreifen brauchte und die Menschen in der Stadt sich erheben und ihm das Tor öffnen würden, um ihn willkommen zu heißen.«
Carodyne runzelte die Stirn. Der König hatte nicht den Eindruck erweckt, ein kompletter Narr zu sein. »Wurde er auf irgendeine Weise beeinflußt?« fragte er. »War sein Verstand getrübt?«
Albasar seufzte. »Ich weiß, was Ihr meint. Wenn er von bösen Dämonen besessen war, weshalb benutzte ich dann nicht meine Kräfte, sie zu vertreiben? Das fragt Ihr Euch doch, nicht wahr? Nun, ich versuchte es. Ich las in den Sternen und deutete ihm, was ich sah. Aber in manchen Menschen steckt ein Mann, der nichts mit Zauberei zu tun hat. Keine Macht vermag einen Menschen von dem ihm vorbestimmten Weg abzubringen. Er vertraute auf die Freunde, die, wie er überzeugt war, in der Stadt auf ihn warteten. Und weil er dachte, sie bauten auf ihn, glaubte er, sie nicht im Stich lassen zu dürfen. Und so warf er die Würfel.«
»Und verlor.«
»Und verlor«, echote Albasar, »wie ich wußte, daß es kommen würde, genau wie ich ihn gewarnt hatte. Den ganzen Tag tobte die Schlacht. Dutzendmal gelang es uns, die Mauern zu erklimmen, und jedesmal
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