Im Bann des Omphalos
zunehmender Schnelligkeit stroboskopisch an seinen Augen vorbeischwirrten, während er fiel – fiel – fiel …
Bis die pechschwarze Scheibe ihn ausspuckte und er sich auf dem Altar Kanins wiederfand.
15.
Der Tempel war menschenleer. Carodyne rollte sich von der polierten Altarplatte. Er war ohne das Schwert zurückgekehrt, nackt, mit übelriechendem Schleim beschmiert und aus Dutzenden kleiner Wunden blutend. Jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte, und die Nerven zuckten von der Überbeanspruchung. Sein Schädel drohte zu bersten, und Übelkeit stieg in ihm auf.
Es war kein Traum gewesen, obgleich die Ereignisse alle Elemente eines Alptraums aufgewiesen hatten. Er hatte tatsächlich gekämpft, verwundet, ja sogar getötet, und er wäre ohne Zweifel in dem Raum zwischen den Dimensionen gestorben, wenn abergläubische Furcht ihn, wie es bei einem normalen Opfer vermutlich üblich war, gelähmt hätte. Doch selbst seine Unerschrockenheit hätte ihm ohne die Hilfe eines sicher längst vergessenen Zauberers wenig genutzt, der die Zeichen der Macht in die Schwertklinge geritzt hatte. Und er wäre auch ohne seine Herausforderung und seinen Trick beim Steinwerfen verloren gewesen.
Er holte tief Luft, um der Übelkeit und einem Schwindelgefühl Herr zu werden. Nur gut, daß selbst die Priester den Tempel verlassen hatten. Er mußte von hier verschwunden sein, ehe sie zurückkehrten.
Wein stand auf einem Regal hinter der schwarzen Scheibe. Er brach das Siegel eines der großen Steinkrüge und trank durstig, den Rest benutzte er, um sich die Wunden auszuwaschen. Dann sah er sich unter den Opfergaben nach einer Waffe um, aber offenbar war das Schwert die einzige gewesen. Mein Glück, dachte er grimmig, der unberechenbare Umstand, der ihm zu überleben geholfen hatte. Und Glück würde er auch weiterhin brauchen, denn obgleich er dem ihm bestimmten Tod entgangen war, standen zweifellos Posten am Tempelausgang, und sie konnten genausogut töten wie jeglicher vermeintliche Gott.
Auf leisen Sohlen näherte er sich der gewaltigen Flügeltür. Sie war unverschlossen und ließ sich auf geölten Angeln lautlos bewegen. Zwei Wachen standen davor. Einen schlug er mit einem Handkantenschlag nieder, und ehe der zweite in seiner Überraschung reagieren konnte, riß er dem Toten das Schwert aus der Scheide und stach es dem Mann, der gerade die Lippen zu einem Schrei öffnete, in die Brust. Eilig riß er die Klinge zurück, sah sich um, und nahm den Weg, den man ihn zum Tempel geführt hatte.
Aber es gab zu viele Abzweigungen, zu viele nichtssagende Türen, und da klang ihm auch schon das Dröhnen von Marschschritten entgegen. Hastig drückte er sich in einen Seitengang und wartete, bis der kleine Trupp vorüber war. Die Ablösung würde die Toten finden und Alarm schlagen. In wenigen Minuten würde im Tempel die Hölle los sein. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Er rannte den Seitengang weiter und probierte die Türen. Eine war unversperrt. Eine winzige Lampe glühte an einer Wand. Die Luft war schwer von Parfüm. Im Bett rührte sich eine Frau, erwachte und setzte sich beim Anblick des nackten Fremden mit dem blutbesudelten Schwert erschrocken auf. Ehe sie schreien konnte, hatte Carodyne sie erreicht. Er preßte seine Linke auf ihren Mund und berührte mit der Schwertspitze ganz leicht ihre Brust.
»Seid still!« flüsterte er. »Ich habe nicht die Absicht, Euch etwas zu tun, doch wenn Ihr schreit, muß ich Euch töten. Versteht Ihr?«
Sie nickte.
»Wie komme ich zu den Verliesen? Sagt es mir, und ich lasse Euch in Ruhe.«
Sie hatte sich schon tot gesehen, und so atmete sie fast schluchzend vor Erleichterung auf, als er die schwere Hand von den Lippen nahm.
»Von hier aus müßt ihr nach rechts und am Ende des Korridors nach links abbiegen. Die Treppe nach unten befindet sich hinter der dritten Tür auf der rechten Seite.« Sie blickte ihn kokett an. »Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«
Sie mußte eine Weile zum Schweigen gebracht werden. Er drückte die Finger in ihre Kehle und preßte auf die Halsschlagader, bis sie bewußtlos war, dann schlich er zur Tür. Sein Glück hielt noch an. Als er das Zimmer verließ, hörte er Rufe in der Ferne und klappernde Schritte. Aus der Tür zur Treppe in die unterirdischen Geschosse drang ihm übelkeiterregende Luft entgegen, und aus der Tiefe hörte er Klirren von Metall. Mit dem Schwert in der Hand stieg er vorsichtig die Stufen hinunter.
In einer offenen
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