Im Bann des Omphalos
Überleben war.
»Ich täusche mich nicht«, antwortete er. »Ich sah sie – nun, Ihr würdet es eine Vision nennen. Und sie befindet sich irgendwo im Tempel, aber ich weiß nicht genau wo.«
»Wissen geht nie verloren«, murmelte Albasar. »Es kann in Vergessenheit geraten, doch Zauberkraft vermag es zu finden, auch wenn es noch so tief vergraben liegt. Vertraut Ihr mir? Ich brauche Eure Hilfe. Ihr müßt Eure Seele in meine Hände geben.« Er berührte das auf seine Stirn tätowierte Symbol. »Ich schwöre bei Marash, daß Ihr keinen Schaden an Leib oder Seele erleiden werdet.«
»Wie kann ich Euch helfen?«
»Setzt Euch mir gegenüber. Entspannt Euch und schaut mir in die Augen. Lauscht meiner Stimme und wehrt Euch nicht gegen meinen Willen.«
Hypnose, dachte Carodyne und setzte sich. Warum nicht? Das war Magie, die er verstand, und es spielte auch keine Rolle, wenn andere sie Zauberei nannten. Und daran, daß er Albasar vertrauen konnte, hegte er keine Zweifel, schließlich stand auch sein Leben auf dem Spiel. Er konzentrierte sich auf die grünen Augen.
Sie wurden größer – zu smaragdfarbenen Feuerscheiben, die immer weiter wuchsen, bis sie die ganze Welt einnahmen, dann das Universum. In jedem Auge begann sich ein reflektierter Lichtpunkt zu drehen. Die beiden vereinten sich zu einem gigantischen Feuerrad. Aus weiter Ferne hörte er zwei Stimmen, doch sie hatten weder mit ihm noch dem Zauberer etwas zu tun. Sie verklangen, das riesige Rad drehte sich noch schneller, und plötzlich versank er in einer Smaragdsee. Die Zeit hielt an. Dann sah er wieder das Rad, das sich immer langsamer drehte und allmählich zu einem Funken wurde – die Widerspiegelung einer Fackel in Albasars Augen.
Carodyne holte tief Atem. Hypnose, wie er sie kannte, glich dem eben Erlebten in keiner Weise. »Ist das alles?« fragte er.
»Es ist alles.« Albasars Hände zitterten. Er verbarg sie hastig in den weiten Ärmeln seines Gewandes.
»Und?« fragte Hostig ungeduldig. »Kennt Ihr die Antwort?«
»Ja«, murmelte der Zauberer. »Jetzt weiß ich, wo die Mumie zu finden ist.«
16.
Der Tisch hüpfte erneut, als sie die Wachstube verließen, die Wände knirschten, als schleife Stein gegen Stein, und die Luft füllte sich mit feinem Staub, der die Nase verstopfte und in den Augen brannte. Ein weiteres Beben, das schlimmste bisher. Carodyne fragte sich, wie viele das Mauerwerk noch aushalten würde. Er bemerkte, daß Albasar stumm die Lippen bewegte, vielleicht zu einem Zauberspruch, oder in einem Gebet an seine Göttin. Das eine nutzte vermutlich genausowenig wie das andere gegen die Kräfte der Natur. Oder war auch das hier anders auf dieser Welt, wo die Götter echt waren, oder vielmehr, wo man bestimmte Kreaturen als Götter anbetete.
Er schüttelte ein wenig gereizt über seinen Gedankengang den Kopf. Die Welt war, wie sie war, und so mußte er sie auch nehmen. Und hatten ihm nicht viele Beweise gezeigt, daß Zauberei hier etwas war, mit dem man durchaus rechnen mußte?
Magie und noch etwas!
Gräßliche Schreie waren von oben zu hören und wurden lauter, je höher sie kamen, und gellten beim Öffnen der Tür in ihre Ohren. Menschen rannten mit schreckverzerrten Gesichtern durch den Korridor. Eine Frau kreischte und riß sich mit den Nägeln die Arme auf. Auf dem Marmorboden lag etwas, auf den ersten Blick Unkenntliches in einer sich ausbreitenden Blutlache. Aus der Mitte des Häufchens hob sich die Federkappe eines Priesters.
»Kanins Rache«, sagte Albasar leise.
Schwere Schritte kamen in ihre Richtung. Ein Trupp Wachen trieben die fliehenden Männer und Frauen vor sich hier. Ein Offizier brüllte: »Alle zum Tempel! Nur durch reiche Opfer und demütige Gebete können wir hoffen, Kanins Gunst zurückzugewinnen. Zum Tempel!« Er verlangsamte den Schritt, als er an den vier Männern in der Türöffnung vorbeikam. »Ihr habt gehört, was ich sagte! Beeilt euch!«
Er rannte seinen Leuten nach. Albasar blickte den nun leeren Korridor auf und ab. »Bis jetzt sind die Götter uns hold«, sagte er. »Die Mumie liegt in einer in die Mauer des alten Tempels geschlagenen Nische. Wenn wir unbemerkt dorthin gelangen, wird niemand uns stören.«
Hostig legte die Hand um den Schwertgriff und knurrte tief in der Kehle. »Mögen jene, die es versuchen, ihren Frieden mit der Göttin machen. Ich habe nicht die Absicht, mich noch einmal gefangennehmen und in eine Zelle werfen zu lassen oder gar als Blutopfer zu dienen. Wenn
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