Im Bann seiner Küsse
Jeffie Peters stand neben ihr. Sie spürte, wie sein Ellbogen ihren Arm streifte, weich wie ein Flüstern, eine Berührung, die ihren Puls so schnell schlagen ließ wie bei einem aufgeschreckten Häschen.
»Ja?«
»Darf ich dich und Katie nach Hause begleiten?«
Savannah öffnete die Augen. Hitze stieg ihr wieder in die Wangen und hinterließ eine heiße Spur der Scham und Verlegenheit. Sie hatte nicht einmal die Geistesgegenwart besessen, ihm zu antworten. Sie hatte ihn nur angestarrt, den Mund auf und zu klappend wie eine gestrandete Forelle. Dann hatte sie
Katies pummelige Hand genommen und ihre stolpernde kleine Schwester aus dem Klassenzimmer, dem einzigen der Schule, geführt.
Es ergab überhaupt keinen Sinn. Jeffie Peters ging seit Jahren mit ihr zur Schule. Wie kam es, dass sie kein Wort herausbrachte und ganz dumm wurde, wenn er nur ihren Namen nannte? Und außerdem ... warum wollte er sie nach Hause begleiten? Sie war jahrelang allein gut zurechtgekommen.
Ein jämmerliches kleines Stöhnen entrang sich ihr. Wenn sie nur mit jemandem über die merkwürdigen Dinge, die sie in letzter Zeit empfand, hätte sprechen können. Nicht nur über Jeffie. Sie hatte so viele sonderbare Gefühle. Auch ihr Körper veränderte sich. Ihre Brüste wurden irgendwie empfindlich, und ihr Magen geriet immer wieder durcheinander.
Katie lugte um die Ecke. »Abendessen fertig?«
Savannahs Miene verriet nichts von ihren Empfindungen, ein Trick, den sie ihrem Vater abgeguckt hatte. Es war besser, seine Gefühle zu verbergen und zu lächeln als zu weinen. »Ja. Hol Daddy«
»Bin schon da.«
Wie immer erweckte die sonore Baritonstimme ihres Vaters in Savannah vage Sehnsüchte. Sie sah ihn mit einem leeren, verlegenen Lächeln an, er aber reagierte gar nicht. Das Lächeln verging ihr. Verzweifelt versuchte sie, ihre Enttäuschung zu verbergen.
Sie stand steif auf, rieb sich die feuchten Handflächen an der Schürze ab und ging entschlossen zum Herd.
Damit musste Schluss sein. Ihr Bemühen um seine Aufmerksamkeit war reine Energieverschwendung.
Es war alles nur wegen der gewissen Zeiten. So nannte sie diese Phasen stummer Scheu. Die Zeiten, wenn sie unvermittelt aufschaute und entdeckte, dass er sie anstarrte. Kostbare Sekunden, in denen sie ihm etwas bedeutete, Augenblicke, die sich in ihrer einsamen Seele wie Goldkörner in Bettlerhand anfühlten. Ein Blick, eine Berührung von ihm, und alles fing von neuem an. Wünsche, Hoffnungen, Gebete ...
Doch die Augenblicke waren so selten, so flüchtig, dass sie sich hinterher oft fragte, ob sie sich nicht alles nur eingebildet hatte. Meist kam sie zu dem Schluss, dass es so war.
Sie hörte ihn auf sich zukommen und erstarrte instinktiv. Er blieb neben ihr stehen, sah ihr über die Schulter in das Stew, das leise vor sich hin köchelte. Dann griff er nach ihr.
Einen Augenblick lang drohte ihr Herz stillzustehen, weil sie glaubte, er würde ihren Arm berühren oder ihr auf die Schulter klopfen. Sie lehnte sich unmerklich gegen ihn, gerade so, dass sie seinen Ärmel streifte, die Wärme seiner Haut und den Holzrauchduft seines bunt gemusterten Baumwollhemdes spürte.
Er griff hinter sie und schob das Gefäß von der heißen Kochstelle. »Es duftet köstlich.«
Savannah unterdrückte Tränen. Was stimmte mit ihr nicht? Warum war sie nicht liebenswert? Andere Kinder wurden von ihren Eltern geherzt und geküsst und geliebt. Diese Art der Zuneigung hatte sie im Haus ihrer Freundin Lila beobachtet, und immer wenn sie sah, wie Mr. Hannah über Lilas Schulter strich oder ihr einen Kuss auf den Scheitel gab, spürte Savannah tief in ihrem Inneren dumpfen, hämmernden Schmerz.
Mit ihr stimmte etwas nicht. Schon längst hatte sie sich dieser Wahrheit gestellt. Sie musste etwas Dunkles und Hässliches an sich haben, das ihre Eltern abstieß.
Sie bückte sich müde und öffnete die Backrohrtür, um vorsichtig den goldenen Brotlaib herauszuziehen. Sie schützte ihre Hände mit der Schürze, legte das Brot auf ein Schneidebrett und schnitt es in dicke Scheiben.
Katie setzte sich an den Tisch und stützte die kleinen Ellbogen auf die zerschrammte Holzplatte. Das regelmäßige, dumpfe Trommeln ihrer Zehen gegen die festen Stuhlbeine bildete das willkommene Ende der Stille. »Was gibt's zum Essen, Vannah?«
Savannah klatschte eine Kelle Stew in eine Schüssel, legte einen Teller mit Brot darauf und ging damit zum Tisch. »Hasenstew, Bauernbrot und eingelegte Gurken von Mrs. Hannah.«
Katie
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