Im Bann seiner Küsse
Schenkeln hoch und setzte sich rittlings auf einen kleinen Stuhl, den sie an den Tisch schob. Vor ihr stand eine Anordnung von Gläsern. Neben ihr lag ein Buch, das sie bei der Überschrift Anleitung zum Einwecken von Obst und Gemüse aufgeschlagen hatte.
Bei Gott, heute wollte sie Einwecken lernen. Sie schlug das Lehrbuch auf, blätterte bis zum entsprechenden Kapitel und vertiefte sich so in das Thema, dass sie den auf dem Hof vorfahrenden Wagen fast überhört hätte.
Besuch!
Tess sprang auf, lief ans Fenster und schob die dünne Gardine beiseite. Ein in eine Staubwolke gehüllter Wagen hatte vor dem Haus angehalten. Der Kutscher warf die Zügel Jack zu, der die Pferde am Zaun vor dem Hühnerstall festband.
Jack schob den Hut aus der Stirn und lächelte dem kleinen, ein wenig buckligen Mann zu, der allein im Wagen saß. Der Mann nahm den Hut ab und entblößte einen fast kahlen Schädel, in dem sich die warme Frühlingssonne spiegelte.
Die Männer redeten eine Weile, dann blickten beide mit sichtlichem Unbehagen zum Haus.
Tess winkte ihnen zu.
Jack reagierte mit einem verkrampften, humorlosen Lächeln.
Der Alte runzelte kurz die Stirn, ehe er vorsichtig ihr Winken erwiderte.
Tess konzentrierte sich darauf, die Worte von Jacks Lippen abzulesen.
»Kommen Sie ins Haus und sehen Sie nach ihr. Sie ist ... verändert.«
»Doc Hayes«, sagte Tess vor sich hin. »Natürlich.« Sie ließ die Gardine los und ging an die Tür. »Hi, Doctor!«, rief sie von der Veranda, winkte ihm wieder zu und schirmte die Augen gegen die grelle Sonne ab. »Möchten Sie ein Glas ...« Sie überlegte. Was bot man im Jahre 1873 an ? Chardonnay kam eindeutig nicht in Frage. »... Wasser?«
»Das wäre sehr nett«, antwortete er und ließ sich von Jack vom Wagen helfen.
Die zwei Männer gingen auf das Haus zu und folgten Tess in die Küche.
»Was soll denn das?«, fragte der Arzt mit einem Blick auf den Tisch.
Tess schob ihm einen Stuhl zurecht. »Ich versuche dahinter zu kommen, wie man Konfitüre macht.«
Ihre Antwort schien den beiden Unbehagen zu bereiten.
»Setzen Sie sich, Mrs. Rafferty«, sagte Doc Hayes.
»Aber Ihr Wasser ...«
»Setzen Sie sich.«
Tess setzte sich mit einem Achselzucken dem Arzt gegenüber. »Also gut.«
»Wie fühlen Sie sich?«
»Tadellos.«
Er furchte die Stirn. »Wirklich?«
»Wirklich. Alles klappt großartig. Ich komme gut zurecht.«
»Und das Baby?«
Tess lächelte. »Caleb gedeiht prächtig und ist schon sehr gewachsen. Zuerst hatte ich mit dem Stillen Probleme, jetzt aber geht es tadellos.«
Doc Hayes warf Jack einen Seitenblick zu. »Tut mir Leid, aber ich muss die Frage stellen.«
Jack nickte angespannt.
Der Arzt wandte sich wieder Tess zu. »Erinnern Sie sich noch, wie Sie zu mir kamen, nachdem Sie schwanger wurden?«
»Nein.«
Der Arzt machte eine Pause, als müsse er seine Worte genau überlegen. »Sie wollten ...«Er errötete leicht und senkte die Stimme. »Nun, Sie waren nicht allzu glücklich über das Kind.«
Tess schnappte nach Luft und hielt sich die Hand vor den Mund. »Oh Gott ... Sie meinen, ich wollte die Schwangerschaft beenden lassen?«
»Ja.«
Impulsiv griff Tess nach der Hand des alten Mannes und drückte liebevoll die Finger mit den knotigen Knöcheln. »Gottlob, dass Sie es nicht getan haben.« Tränen brannten ihr in den Augen. »Gott sei Dank.«
Doc Hayes sah sie an. Er hatte seine roten Augen hinter den kleinen ovalen Brillengläsern zusammengekniffen. »Wie lautet der Name Ihres Mannes?«
»Jack.«
»Sein ganzer Name.«
»Jack Rafferty«
Er sah Jack an, der den Kopf schüttelte.
Ruhig sagte Jack: »Jackson Beauregard Rafferty der Dritte.«
Tess riss die Augen auf. »Das soll wohl ein Scherz sein. Was für ein großartiger Name.«
Doc drückte flüchtig ihre Hände und stand langsam auf. »War nett, Sie wiederzusehen, Mrs. Rafferty Jack, begleiten Sie mich zum Wagen.«
Die zwei Männer gingen aus der Küche und schritten langsam über den Hof. Unter dem Laubdach der großen Eiche fasste Doc Hayes nach Jacks Arm. Sie blieben stehen.
Tess schob die Gardinen ein Stück auseinander und spähte hinaus, völlig auf die Lippenbewegungen der Männer fixiert.
»Was zum Teufel ist mit ihr los, Doc?«
»Amnesie, denke ich.«
»Wie lange wird die dauern?«
»Wer weiß. Könnte sein, dass Sie eine ganz neue Frau bekommen haben. Ebenso gut aber kann die alte morgen wieder da sein.«
»Sie meinen, diese Veränderungen könnten ... echt sein?«
»Das
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